Blutfeuer
Terrain befand, auf dem er sich nicht halb so gut wie
dieser auskannte.
»Der Begriff ›arm‹ trifft nicht so ganz den Kern der Sache, mein
lieber Kommissar«, spöttelte Siebenstädter sogleich. »Jeder dieser Abgelebten
ist wahrscheinlich ein wohlhabenderer Rentner gewesen, als wir beiden
Rentenempfänger zusammen in – sagen wir fünfundzwanzig – Jahren sein werden.«
»Siebenstädter, bitte …«, machte Haderlein einen verzweifelten
Versuch, ihn zu unterbrechen.
Doch der Rechtsmediziner hatte sich nun auf das Schwadronieren
eingelassen und lief gerade erst richtig warm. »Ich würde sogar sagen, dass
diese verkalkten Blutegel am Körper des Gemeinwohls, während sie hier wie eine
Thrombose die Ader meines Arbeitsflusses verstopfen, durch den durch ihren Tod
verursachten Arbeitsaufwand die Allgemeinheit mehr Geld kosten werden, als wir
arbeitende Bevölkerung später an Pensionsleistung erhalten werden. Und ich im
Speziellen, wenn ich das hinzufügen darf.«
Haderlein versuchte gar nicht mehr, den Arzt zu unterbrechen,
sondern konzentrierte sich auf seine aufkeimenden Kopfschmerzen. Was sollte der
Quatsch? Hatte Siebenstädter plötzlich eine Krise wegen seines bevorstehenden
fünfundfünfzigsten Geburtstages? Wahrscheinlich lag es daran. Der Mann war
voller umgestürzter Bäume, die in seiner Psyche quer herumlagen. Metaphorisch gesehen.
»Ehrlich gesagt«, fuhr Siebenstädter fort und verfiel dabei in den
Ton eines wahlkampfredenschwingenden Lokalpolitikers, »ehrlich gesagt sollte
man für solche Fälle eine intelligentere Lösung finden. Eine
Entlastungsstrategie für die Rentenkassensanierung. Altersheime, ha, die sind
doch viel zu kostenintensiv! Da braucht es konsequente, radikale Neuerungen.«
»Siebenstädter, ich habe keine –«, startete Haderlein einen letzten
Versuch im Guten. Jedoch, es blieb bei diesem.
»Zum Beispiel sollte man statt teurer Unterbringung in Heimen diese
Tattergreise gleich mit einem Stuhl auf ihren zukünftigen Grabstein stellen«,
argumentierte Siebenstädter fleißig weiter. »Dort könnten sie dann
kostengünstig warten, bis alles vorbei ist.«
Haderlein schlug seinen Kopf mehrmals stumm und verzweifelt auf die
blank geputzte Oberfläche seines Schreibtisches. Alle in der Dienststelle
drehten sich erschrocken zu ihm um. Selbst Fidibus hob seinen schwergewichtigen
Blick aus den Akten und versuchte zu eruieren, was die Geräusche in der
Außenwelt bedeuten mochten, die da gedämpft durch das Glas zu ihm
hereindrangen. Haderlein, etwas erschrocken über sich selbst, lächelte
sicherheitshalber beschwichtigend in die Runde. Den kurzen Moment der
Unaufmerksamkeit nutzte Siebenstädter sofort, um seine Argumentationsreihe, die
er selbst durchaus überzeugend fand, fortzuführen.
»Es wäre ja möglich, die Alten auf ihrem Stein über einen mobilen
Sozialdienst zu versorgen, Essen auf Gräbern sozusagen.« Der Mediziner schickte
ein selbstzufriedenes, heiseres Lachen hinterher. Weiter kam er nicht mehr.
Haderlein hatte genug. »Siebenstädter, Sie sagen mir jetzt auf der
Stelle, was Sie wissen, oder ich schicke Ihnen keinen mobilen Sozialdienst,
sondern ein unsoziales Sprengkommando vorbei, das Ihren ganzen morbiden
Schuppen in die Luft jagt! Haben Sie mich verstanden, Sie Medizinmann von
eigenen Gnaden? Mir reicht’s! Ich habe keine Lust mehr, mir Ihren Schmarrn
anzuhören!«
Auf der anderen Seite der Leitung war tatsächlich Stille eingekehrt.
Hatte das Schlachtschiff etwa beigedreht, die Luken geschlossen und Kurs auf
den Hafen der Vernunft genommen?
»Sie sollten sich doch einmal psychisch überprüfen lassen, Herr
Kommissar«, tönte es dann vom Leiter der Gerichtsmedizin ungerührt und
lakonisch an Haderleins Ohr. »Ihre cholerischen Eskapaden bringen Sie noch mal
aufs, äh, Verzeihung, ins Grab, Herr Kriminalrat. Das wird einmal böse
mit Ihnen enden, wenn Sie nicht aufpassen und weiter solch unschön gealterte
Leichen bei mir parken. Versuchen Sie es lieber mal mit jungen, schönen Wesen,
Haderlein, die mit gesunder rosa Haut und einer Lebenshalbwertszeit, die sich
noch nach mehr als Monaten bemessen lässt. Wäre das nicht was zur Abwechslung?«
Haderlein musste sich beherrschen, nicht zu explodieren. »Ich werd’s
versuchen, Siebenstädter, ich arbeite daran. Aber Sie, Sie wird man irgendwann
einmal in einer Reihe mit Hitler, Stalin und Goebbels nennen.«
»Das ist ein sehr heikler Vergleich«, bemerkte Siebenstädter kühl.
»Das stimmt«, knurrte
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