Blutfeuer
Desinfektionslösung zu
Ute von Heesen, dann zu Manuela Rast und dann wieder zurück. An seiner Miene
konnten die Umstehenden erkennen, dass sein Gehirn mit heftigen Umwälzungen zu
kämpfen hatte. Am Ende des Prozesses war auf seinem Gesicht ein Ausdruck der
tiefsten Frustration, Fassungslosigkeit, aber auch der blanken Angst abzulesen.
Von hinten beugte sich zum guten Schluss auch noch Frank
Jessentaler, der Ronalds Rad inzwischen notdürftig repariert hatte, über das am
Boden zerstörte Häufchen Bikerelend. »Und wenn selbst das nicht hilft, dann
werde ich die ganze Angelegenheit noch ein bisschen anfeuern«, sagte er und
spielte mit seinem sturmsicheren Feuerzeug.
Ronald Wolfs Augen wurden so groß wie zwei Billardkugeln. Brennendes
Desinfektionsmittel auf seinem Johannes? Das war dann doch zu viel. Schnell
ließ er die Verletzungen Verletzungen sein und sprang unter dem Gelächter aller
auf.
Frank Jessentaler beobachtete, wie er wortlos das zerrissene Trikot
wechselte und sich blass und mit verkniffenem Gesicht fahrbereit machte. »Das
war’s dann«, rief der Tourguide laut. »Das Umerziehungslager ist hiermit
beendet, weiter geht’s!« Auch alle anderen erhoben sich und packten ihre
Siebensachen ein. Der Typ ist so doof wie Bohnenstroh, dachte sich Jessentaler,
aber diese Lektion hat hoffentlich selbst er begriffen.
Wenige Minuten später saßen wieder alle auf ihren Sätteln und
machten sich auf den Weg Richtung Konstanzer Hütte, ihrem heutigen Nachtlager.
Ronald Wolf fuhr an letzter Stelle der Gruppe.
Auf dem Rest der Etappe konnte man vom Ende des Fahrerfeldes recht
häufig ein unterdrücktes Stöhnen oder einen leisen Fluch hören, aber
seltsamerweise keine verbalen Anzüglichkeiten mehr. Auch Antäuschungen von
unerwarteten, brachialen Fahrmanövern gab es nicht mehr zu bestaunen. Nach
tausendachthundert Höhenmetern und mit nur kurzer Verspätung erreichte die
Gruppe wie geplant am späten Nachmittag die Konstanzer Hütte oberhalb von St.
Anton.
*
Lagerfeld ließ sich das Zimmer von Frau Kleinhenz zeigen und
beachtete zuerst nicht Huppendorfers merkwürdigen Blick, als er ihm eröffnete,
die Zeugin Kleinhenz vernehmen zu wollen. Dann war er ob Huppendorfers Reaktion
doch irgendwie irritiert. »Is was, passt dir was nicht, Huppendorfer?«, warf er
ihm die schnoddrige Frage hin, als sein Kollege ihn noch immer mit einer
Mischung aus Unverständnis und Amüsement anschaute.
»Nö, nö«, gab der sofort unterwürfig zurück. »Die Alte muss nur mal
ein richtiger Profi in die Mangel nehmen, dann packt die schon aus, mach du
nur, du bist genau der Richtige für den Job.« Damit wandte er sich wieder
betont konzentriert seiner momentanen Arbeit zu, der Auswertung des
Stationscomputers.
Lagerfeld schüttelte seinen Kopf und klopfte an die Tür, neben der
an der Wand ein Schild mit der Aufschrift »Kleinhenz, Hildegard« angebracht
war.
»Als rei, wenns kaa Schubkarren is!«, hörte er von innen die
fröhliche Stimme einer älteren Frau. Er öffnete die Tür und sah auf dem Bett
eine alte Dame mit lockigen schlohweißen Haaren sitzen, die ihn aus hellwachen
Augen angrinste.
»Hallo, Frau Kleinhenz, mein Name ist Bernd Schmitt von der Polizei,
und ich müsste Ihnen noch ein paar Fragen stellen«, kam er gleich zur Sache und
hängte seine unnötigerweise mitgebrachte Jacke über eine Stuhllehne. Er kannte
solche Situationen von seiner eigenen Oma damals, als er noch ein kleiner Junge
gewesen war. Wenn sie gut drauf war, musste er das gleich ausnutzen. Dann gab’s
meistens auch Schokolade. Auf die hatte er es zwar jetzt nicht abgesehen, aber vielleicht
konnte er gleich –
»Ich will a Schabeso«, sagte die alte Dame und grinste ihn weiterhin
äußerst gut gelaunt an.
Schabeso? Auch das noch! Die in Bamberg hergestellte Limonade gab es
doch schon seit über dreißig Jahren nicht mehr! Wahrscheinlich wollte die Frau
nur etwas zu trinken. »Hören Sie, Frau Kleinhenz, ich kann Ihnen gern eine
Zitronen–«
»Ich will a Schabeso«, wiederholte die alte Frau lächelnd.
»Frau Kleinhenz, Schabeso gibt es schon lange nicht mehr«, versuchte
es Lagerfeld geduldig, »aber ich kann Ihnen gern eine andere Limonade bringen,
die genauso –«
»Ich will a Schabeso«, unterband die gute Frau ungerührt seinen
Befragungsplan. Ihre Stirn wies jetzt erste Falten der Ungeduld auf.
Lagerfeld hielt inne und überlegte. So kam er nicht weiter. Er würde
der Frau erst mal was zu trinken besorgen. Ihr Wunsch war bei
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