Blutfeuer
Teilnehmer an
gewisse Regeln, oder es ging schnurstracks nach Hause. Und der liebe Wasabi
wäre nicht der Erste gewesen. Heute in der Mittagspause in Ischgl waren ihm von
seinen »Schwestern« die Pflaster und Verbände abgenommen worden, damit die
Schürfwunden verkrusten konnten. Besonders angenehm war das nicht beim Treten
auf das Pedal, zudem behinderte ihn eine ziemliche Prellung an der linken
Schulter beim Lenken. Er war froh, dass sein Freund Sigismund Ludwig das
Werkzeug, die Trinkflaschen und andere schwere Gepäckstücke übernommen hatte.
Interessanterweise fuhr der mit dem Zusatzgewicht genauso schnell weiter wie
vorher. Sein Kumpel war offensichtlich in Bestform, während er mittlerweile ums
sportliche Überleben kämpfte. Jetzt, gegen Ende der Etappe, litt er unter
höllischen Schmerzen und war froh, kurz anhalten zu dürfen. Frank Jessentaler
nestelte sein Handy aus der Seitentasche seines speziellen
Alpencross-Rucksackes.
»Was gibt’s denn?«, bellte er etwas unwirsch. Er hatte zu Hause
extra Anweisung erteilt, ihn nur in absoluten Notfällen anzurufen. Wenn er
unterwegs war, war er unterwegs. Sicherheitshalber fragte er noch mal nach, ob
er das Gehörte wohl auch richtig verstanden habe, worauf ihm die Neuigkeiten
exakt genauso noch einmal mitgeteilt wurden. Er hatte richtig verstanden. Mit
ungläubigem, ernstem Gesichtsausdruck steckte er das Handy weg und schien
völlig in sich versunken zu sein.
»He, Frank, was ist denn los?«, wollte Ute von Heesen besorgt
wissen, während sie ihr STEVENS an
einen Felsblock lehnte.
Erschrocken wachte Frank Jessentaler aus seiner Konzentrationsstarre
auf und blickte sie verwirrt an. »Setzt euch mal alle hin«, befahl er mit einer
fahrigen Handbewegung. Besonders Ronald Wolf nahm die Anweisung mit großer
Dankbarkeit zur Kenntnis. Als alle um ihn herum im dünnen Gras neben dem Weg
hockten, teilte er ihnen mit, was er soeben erfahren hatte.
»Also, Leute, das ist jetzt kein Witz, sondern bitterer Ernst. Von
der Alpensüdseite zieht ein ziemlicher Sturm herüber. Er ist zwar nicht mehr
als Hurrikan eingestuft, aber was da auf uns zukommt, reicht immer noch, um uns
vom Gipfel zu wehen. Und der Wind ist nicht alles. Es wird ganz schön was an
Regen runterkommen. Das heißt für uns: Moränen, unpassierbare Wege, Sturzbäche,
Erdrutsche, weggerissene Brücken et cetera pp. Das ist ein echt dickes Ding,
was da auf uns zurollt. Wir müssen jetzt entscheiden, wie wir weitermachen. Entweder
fahren wir die restlichen dreihundert Höhenmeter durch, verbringen die Nacht
auf der Heidelberger Hütte und hoffen, dass das Haus standhält. Dann kann
allerdings keiner sagen, ob und wie es auf welchen Wegen morgen weitergeht.
Oder wir kehren um, fahren den Weg zurück, den wir gekommen sind, und
verbringen die Nacht in Ischgl in einem schönen warmen Hotel. Dann müssten wir
morgen, sollten die Wege frei sein, halt wieder hier hoch.« Erwartungsvoll
blickte er in die ungläubigen Gesichter der Runde.
»Ein Hurrikan?«, fragte Eddi Schorn und strich sich verwirrt über
seine kurzen Haare. »Ich dachte, Hurrikans gibt’s nur in der Karibik.«
»Ich bleibe auf gar keinen Fall hier!«, meldete sich Sigismund
Ludwig zu Wort. »Bei Sturm warte ich auf gar keinen Fall auf einer Hütte in
zweitausendvierhundert Meter Höhe darauf, vom Blitz getroffen zu werden. Ich
glaube, ihr wisst gar nicht, was das bedeutet!« Der Lehrer begann sich in Rage
zu reden. Eigentlich war er ein ausgesprochen ängstlicher Mensch, und niemand
hatte je begriffen, warum er ausgerechnet Mountainbiken zu seinem Hobby
auserkoren hatte. Jetzt perlten auf seiner Stirn erste Schweißtropfen, was ein
ganzer Tag Biken und tausendzweihundert Höhenmeter nicht geschafft hatten. »Wir
fahren auf jeden Fall nach unten und zurück ins Hotel. Da gibt’s dicke Mauern,
Blitzableiter, Krankenhäuser, Latte macchiato und eine Sauna!« Erschöpft vom
eigenen Redeschwall ließ er sich zurück auf seinen Stein sinken und blickte
erwartungsvoll in die Runde. Doch ausgerechnet sein Freund fiel ihm in den
Rücken.
»Das kannst du völlig vergessen, dass ich da widder nunnerfahr,
Sigi. Den ganzen Dach hab ich mich bis da hernaufgequält, und dann soll ich des
morche noch amal? Du hast ha dodal den Arsch offen«, stöhnte Ronald Wolf mit
schmerzverzerrtem Gesicht.
Sigismund Ludwig starrte ihn verblüfft mit offenem Mund an und wurde
kreidebleich. War sein Freund noch bei Sinnen?
Bevor er zur Verteidigung ausholen konnte,
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