Blutfeuer
Haderleins
Kriminalistenego. Doch deswegen war er nicht hier. Der Hauptschlag des
Feldzuges sollte erst noch folgen.
»Schön haben Sie es hier«, flötete er, so gut er es vermochte, in
Richtung Schreibtisch und betrachtete ausführlich Hirschgeweihe, Dachsköpfe und
sonstige Jagdtrophäen, die die Wände dieses Bürotraumes in Grau zierten. »Darf
ich mich setzen?«, fragte er höflich und nahm, ohne eine Antwort Siebenstädters
abzuwarten, auf dem nüchternen Gestühl auf der Gegenseite des Schreibtisches
Platz. Dann lächelte er Siebenstädter ins Gesicht. Eine mimische
Herkulesaufgabe, aber darauf hatte er sich mental vorbereitet.
Siebenstädter versuchte, das Lächeln zu erwidern, was ihm allerdings
nicht so recht gelingen wollte. Lächeln stellte für ihn eine schier
übermenschliche Übung dar. Hier in der Gerichtsmedizin hatte das noch nie
jemand miterleben dürfen. Wenn Siebenstädter lächelte, dann bestenfalls auf der
Jagd direkt nach einem Blattschuss, wenn das Rehkitz blutend vor ihm lag. Diese
Erkenntnis über seine mangelnde mimische Ausdrucksfähigkeit musste ihm wohl
auch gerade gekommen sein, als er seine sinnlosen Bemühungen, freundlich zu
wirken, wieder einstellte. Stattdessen legte er seine Lesebrille auf die Seite,
zog die Stirn in tiefe Denkerfalten und lehnte sich mit verschränkten Armen
nach vorn. Der Kommissar kam freiwillig in die Höhle des Löwen. Was hatte das
wohl zu bedeuten? Ein Friedensangebot oder eine Falle? Aber Fallen stellen war
eigentlich nicht Haderleins Art. Dafür war er doch viel zu naiv. Das gehörte
schon eher zu seinen eigenen herausragenden Fähigkeiten. Aber was hatte es mit
der Fröhlichkeit des Kommissars auf sich? Seine Augen musterten Haderlein
weiterhin misstrauisch, dann hielt er es nicht mehr aus. »Was wollen Sie von
mir, Haderlein?«, stieß er genervt hervor.
Der Hauptkommissar genoss es, Siebenstädter zappeln zu sehen. Kam ja
selten genug vor. Aber er wollte den Zustand nicht zu lange auskosten, immerhin
lief alles ganz in seinem Sinne. »Nun, ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen,
Professor Siebenstädter«, log er ihm mit schuldbewusster Miene ins Gesicht und
senkte dann den Blick so, wie er es mehrfach vor dem Spiegel geübt hatte.
Der Gerichtsmediziner konnte nicht glauben, was er da hörte. »Wie
bitte? Entschuldigen? Bei mir? Aber wofür denn, bitte?«, fragte er nach, ohne
Anstalten zu machen, die Überraschung in seiner Frage zu verbergen.
Haderlein legte nun größte Betroffenheit in seine Stimme. »Für meine
nicht angebrachte Ausdrucksweise in unserem Telefonat heute Morgen. Das war
nicht in Ordnung, Herr Professor. Und natürlich hatten Sie auch inhaltlich
recht. Das war mir alles bis dato nur noch nie so aufgefallen. So wie das, was
ich Ihnen mit solch unästhetischen Leichen zumute. Ich bitte Sie hiermit also
ausdrücklich um Verzeihung.« Damit und mit einem zutiefst zerknirschten Gesicht
streckte er Siebenstädter seine rechte Hand über den Schreibtisch entgegen.
Der Pathologe war megaverblüfft und zugleich irgendwie gerührt.
Letzteres war ein Gefühl, das sich nur sehr selten bei ihm einstellte. Die
Emotionsregung kam fast nie bei ihm zu Besuch und blieb dann auch nicht lange,
sondern verließ ihn gleich wieder, wenn sie merkte, bei wem sie da gelandet
war. Doch jetzt war er tatsächlich gerührt, war er sich doch nicht ganz sicher,
ob er selbst sich heute Morgen in seiner Wortwahl nicht etwas vergriffen hatte.
Aber sei’s drum. Er hatte nichts gegen einen Waffenstillstand, vor allem dann,
wenn der Gegner sich so willfährig ergab. Haderlein hatte wohl keine Lust mehr
auf rhetorische Scharmützel. Wohlweislich musste er erkannt haben, dass er ihm,
Professor Siebenstädter, hoffnungslos unterlegen war. Und bei so einer Einsicht
konnte man schon mal gnädig sein und mit einer kleinen Geste die Großmut des
Überlegenen demonstrieren. Mit einem gönnerhaften, schiefen Lächeln reichte
Siebenstädter Haderlein die Hand und schlug ein.
»Ich hätte mich gern noch etwas länger mit Ihnen intellektuell
duelliert, Herr Kriminalhauptkommissar, aber Sie haben ja wohl selbst
mitgekriegt, dass Sie im Vergleich zu mir fast unbewaffnet sind«, tönte
Siebenstädter vergnügt und bemerkte in seiner Selbstzufriedenheit nicht, wie
Haderlein für einen kurzen Moment die Fassung verlor, sich aber gleich darauf
wieder fing.
Fast wäre er aus dem Stand über den Schreibtisch gehechtet, um
diesen arroganten Leichenpapst zu erwürgen. Aber er
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