Blutfeuer
meldete sich Manuela Rast
zu Wort. »Also, eigentlich sind wir doch fast schon oben. Außerdem sind
Berghütten doch für solche Stürme ausgelegt, oder nicht? Wenn wir irgendwo
sicher sind, dann doch wohl dort.«
»Genau«, pflichtete ihr Ute von Heesen bei. »Ich hätte das von
Ronald abhängig gemacht. Wenn er der Meinung ist, er schafft das krafttechnisch
nach oben, dann sollten wir Gesunden uns nach ihm richten. Also die körperlich
Gesunden, meine ich.« Damit lächelte sie Wasabi an, der ihr einen bitterbösen
Blick zuwarf, sich aber dafür entschied, die Klappe zu halten.
Nicht so jedoch Sigismund Ludwig. Die blanke Panik stand ihm ins
Gesicht geschrieben. Erneut sprang er von seinem Stein hoch. »Ja, seid ihr denn
völlig irre?«, rief er außer sich. »Da oben sind wir allein in einem Sturm, den
die Alpen noch nicht gesehen haben. Das ist total irrsinnig, das müsst ihr doch
einsehen!« Verzweifelt irrlichterte sein Blick durch die Runde auf der Suche
nach Verbündeten. Doch er fand keine.
»Also, ich glaube auch, dass wir auf der Heidelberger Hütte am
sichersten sind«, meldete sich als Letzter Klaus Kulpa zu Wort. »Ich hab mir
die Hütte letzte Woche noch im Internet angeschaut. Die gilt als absolut
winter- und windfest. Ich wär dafür, das letzte Stück noch zu fahren. Außerdem,
Sigi, wozu hast du denn deine ganzen teuren Goretex-Klamotten dabei, wenn du
sie nicht auch mal benutzen willst?«
Frank Jessentaler hob beschwichtigend die Hand, bevor Sigismund
Ludwig antworten konnte, und stand auf. »Okay, dann machen wir das so«, fasste
er die Beschlusslage zusammen. Und zu dem verzweifelten Sigismund gewandt
meinte er: »Du kannst natürlich allein abfahren, Sigi, allerdings würde ich
mich freuen, wenn die Gruppe zusammenbliebe. Anscheinend hast du Angst vor dem
Sturm, aber ich glaube auch, dass wir dort oben so sicher sind wie in Abrahams
Schoß.« Während er den Rucksack wieder aufsetzte, sagte er an alle gewandt:
»Der Sturm soll irgendwann in den späten Nachmittagsstunden über uns
hinwegziehen. Es gibt also keinen Grund zu hetzen, trotzdem darf von mir aus
jetzt jeder so schnell fahren, wie er will. Ich werde mit unserem verletzten
Wasabi gemütlich hinterhergondeln. Wir treffen uns dann an der Heidelberger
Hütte – oder, Sigi?« Er gab ihm einen aufmunternden Klaps auf den Rücken, doch
der Lehrer starrte nur auf seine Füße und schwieg. »Dann mal los«, sagte Frank
Jessentaler und stieg auf sein Rad.
Plötzlich sprang neben ihm auch Sigismund Ludwig von seinem Stein,
griff sich mit verbissenem Gesichtsausdruck sein Bike. Und siehe da, er fuhr
bergauf in Richtung Hütte. Mit einer irrwitzigen Frequenz trat er in die Pedale
und war innerhalb kürzester Zeit hinter der nächsten Bergkuppe verschwunden.
»Na, da hat’s aber einer richtig eilig, oder? Fit isser ja scho,
unner Ludwig«, witzelte Eddi Schorn und strich sich wieder über das spärliche
Haupthaar. »Also dann, Mädels, schau mer mal, wer als Erschter duschen kann«,
witzelte er.
Ute von Heesen lachte. »Okay, ihr beiden, wer zuerst oben ist,
bekommt von den anderen den Vortritt beim Duschen.« Sie blinzelte ihrer
Freundin zu, und beide griffen sich ihre nagelneuen STEVENS -Räder, die mit ihren weiß-roten Lackierungen in der
noch leuchtenden Sonne standen und nur auf ein Rennen zu warten schienen.
»Bitte sehr, die Herren«, sagte Manuela Rast grinsend und mit einer
ausladenden Handbewegung. »Alter vor Schönheit. Wir kommen dann nach.« Das
ließen sich die beiden Kerle nicht zweimal sagen und fuhren siegessicher los.
Wenige Sekunden später waren auch die beiden Mädels wieder auf der
Piste. Bergab würden sie niemals versuchen, es mit den beiden Jungs
aufzunehmen, aber bergauf war das eine andere Geschichte. Beide hatten für
diese Tour über siebentausend Trainingskilometer auf Mallorca, in der Rhön und
im Chiemgau absolviert. Jetzt war der Moment gekommen, einmal an ihre Grenzen
zu gehen. Nur zum Spaß und weil die beiden neuen Bikes ja mal ausgetestet
werden mussten. Technisch waren die auf dem allerneuesten Stand und wogen trotz
Vollfederung unter neun Kilo. Ein Rekordgewicht im Mountainbikesektor. Wäre ja
gelacht, wenn alles zusammen nicht für einen Vorsprung reichen würde. Manuela
Rast übernahm die Führung. Sie war die Schnellere der beiden, was Ute von
Heesen ihr neidlos zugestand. Sie genoss einfach die Fahrt auf dem neuen Rad im
Windschatten hinter ihrer Freundin. Sie spürte, wie Manuela allmählich
Weitere Kostenlose Bücher