Blutfeuer
von Mürsbach kommend auf ihn zu. Was ihn mithin noch mehr beunruhigte,
waren die großen Objekte wie ganze Hausdächer sowie ein schwarzer BMW mit Münchner Kennzeichen, die genau
in seine Richtung geflogen kamen.
Einen Moment lang blieb er wie angewurzelt auf der Straße stehen,
dann hechtete er, seinem Reflex folgend, in den neben der Straße verlaufenden
Graben und kroch in die nasse Betonröhre der Sportplatzeinfahrt, während über
ihm ein Riese mit seinen Bauklötzen spielte. Sekunden später zog brüllend und
fauchend die schwarze Wand über ihn hinweg. Er rollte sich in der Röhre
zusammen und schloss zitternd die Augen.
Es ist ein Remake von
Independance Day! Die Winde werden immer stärker, rasen nach Westen in die
Zelle und lassen die Stromleitungen über uns aufheulen. Es ist ein
beeindruckender Anblick. Mir ist bewusst, dass es sich um einen ziemlich zerstörerischen
Wirbelwind handelt, der Teile von Gebäuden reißt und das Land aufwühlt.
(Mike Hollingshead, Eric
Nguyen »Sturmjäger«)
Der junge Tornado hatte kurz
hinter Breitengüssbach an einem Baggerloch seine Bodenbildung erreicht und zog
nun, langsam größer und stärker werdend, Richtung Norden. Sein erstes Opfer war
die neu erbaute Halle der größten Rattelsdorfer Landwirtschaft. Bauer Brummer
überlebte die Einebnung seiner Maschinenhalle nur um Sekunden, dann wurde er
von seinem eigenen herabfallenden Traktor in den Boden gestampft. Gottes Strafe
für den alten Geizkragen, wie die Rattelsdorfer später mit wenig Bedauern über
das dramatische Ableben urteilen würden. Dann griff sich der Wirbelsturm das
Zirkuszelt auf dem Rattelsdorfer Festplatz. Er riss es in Fetzen und verteilte
die Einzelteile mit erstaunlicher Gleichmäßigkeit über den Ort. Unerwartet
schlug der Rüssel einen Bogen um den Markt Rattelsdorf und wendete sich
stattdessen den Wiesen des Itzgrundes zu, als wolle er den Häusern ausweichen.
Als die aufgescheuchten Bürger schon zu hoffen wagten, der Wirbelsturm würde
sie links liegen lassen, kehrte er noch einmal zurück und schleuderte dreißig
Meter hohe Bäume aus dem Auwald in den nahe gelegenen Biergarten der Oberen
Mühle. Sekunden später fing es an zu hageln. Taubeneigroße Geschosse prasselten
herab. Binnen Sekunden waren der bekannte Biergarten und der angrenzende
Kanuverleih nur noch Kleinholz.
So schnell der Spuk gekommen
war, so schnell war er auch vorbei. Nach vorübergehender Auflösung bildete sich
der Rüssel jedoch kurz vor der kleinen Ortschaft Freudeneck in den Itzwiesen
wieder neu. Größer und mächtiger als je zuvor, trotzdem blieben hier alle
Bewohner auf wundersame Weise weitgehend unverletzt. Am meisten Glück hatte der
Inhaber der Brauerei Fischer. Der Tornado rasierte die nagelneu erbaute Scheune
einfach ab und die Westwand des Haupthauses gleich mit dazu. Als der junge
Freudenecker Brauer das Licht in seinem Schlafzimmer wegen des Krachs
anknipste, sah er sturmgepeitschten Himmel über und die zerstörte Brauerei
neben sich. Und zwar durch eine nicht mehr vorhandene Schlafzimmerwand.
Der immer breiter werdende
Tornado kümmerte sich nur wenig um die architektonischen Feinheiten seiner
Verwüstungen in Freudeneck, stattdessen schickte er sich an, sein Werk Richtung
Norden fortzusetzen. In Zaugendorf hatte das Alarmsystem anscheinend nicht so
gut funktioniert. Mehrere Menschen wurden in ihren Häusern vom Sturm überrascht
und in den eigenen vier Wänden begraben. Und der Sturm hatte noch lange nicht
genug.
Vor ihm lag eine Ortschaft,
in der sehr viele Menschen bereits aufgeregt durcheinanderliefen, das Beste,
was sie in dieser Situation tun konnten. Die Feuerwehr leitete die Bürger
gerade in die auf einem kleinen Hügel im Ort erbaute Kirche. Augenscheinlich
das Bauwerk in Mürsbach mit der größten statischen Widerstandskraft. Als alle
drinnen waren, schloss Feuerwehrhauptmann Wompesch die Tür. Dann saßen die
Einwohner still auf ihren Plätzen und warteten auf den Sturm, der da kommen
sollte. Der Schock saß tief. Niemand sprach ein Wort, nur die Worte der alten
Kaddl hallten düster und beschwörend durch das Kirchenschiff: »Ich hab’s euch
gsacht. Des is alles bloß wechen dem Bresssack.«
Der inzwischen über hundert
Meter breite Wirbelsturm hinterließ eine unerbittliche Schneise der Zerstörung.
Der Mürsbacher Ortskern hatte innerhalb von wenigen Minuten aufgehört zu
existieren. Nur die Kirche und die Häuser in Richtung Rentweinsdorf den Berg
hinauf waren verschont
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