Blutfeuer
vor,
mit der von Westen heranrückenden Kaltfront zusammenzutreffen. Auf einer
angenommenen Linie Würzburg–Nürnberg würden die beiden Systeme
aufeinanderstoßen. Energiegeladene feuchtwarme Luft aus dem Mittelmeer
kollidierte mit der Kaltfront vom Atlantik. Die energetischen Gegensätze
erzeugten ein äußerst explosives Gemisch in der Atmosphäre, und je weiter die
sich verwirbelnden Elemente nach Norden zogen, umso gefährlicher wurde die
Situation. Die Windscherung tat ein Übriges, bis das Fass zum Überlaufen gebracht
wurde.
*
Während Lagerfeld in Ebensfeld am Main abbog, um den Weg zum
Veitsberg hinaufzufahren, blickte er noch einmal nach Bamberg zurück. In der
Abendsonne konnte er schon die Wolken der Kaltfront erkennen, die rasch von
Westen heranzogen. In seinem Cabrio hatte er auf Gewitter und Regen nun
wirklich keine Lust. Es würde wohl besser sein, sich mit seiner Recherche etwas
zu beeilen. Er gab Gas, durchquerte das Örtchen Dittersbrunn und konnte wenige
Minuten später seinen Honda auf dem Wanderparkplatz unterhalb der
Wallfahrtsstätte auf dem Ansberg abstellen.
Den Rest musste er wohl oder übel laufen, da der Weg für den
motorisierten Verkehr gesperrt war. Kurz hinter der Absperrung konnte er schon
die Fahnen wehen sehen, die um die größte ringförmige Lindenanlage Europas
gehisst waren. Nur mit Mühe erkannte man im Zentrum die bekannte
Wallfahrtskirche, die dem heiligen Veit geweiht war.
Als Lagerfeld näher kam, wusste er, dass er sich nicht geirrt hatte.
Auf den im aufkommenden Wind flatternden Fahnen konnte er etwas erkennen, das
ihn vor ein paar Tagen schon irritiert hatte.
Das Ende Babylons
Unter den Fahnen und
zwischen den Bäumen saßen oder liefen die sogenannten Jünger der Vereinigung in
ihren weiten grauen Gewändern umher und ließen sich von dem heraufziehenden
Unwetter in keinster Weise stören.
In der Mitte des Völkchens
konnte der Kommissar den Anführer des ganzen Auflaufes ausmachen, den er vor
wenigen Tagen interviewt hatte.
Er wollte gerade loslaufen,
um sich die Figuren erneut vorzuknöpfen, als ein gewaltiges Krachen ertönte.
Lagerfeld fuhr herum und sah über Bamberg eine pechschwarze Wolkenwand, in der
bereits die ersten Blitze zuckten.
Zweifelnd blickte er zurück
zu seinem Cabrio. Das ging alles viel schneller, als es vom Wetterbericht
angekündigt worden war. Das würde knapp werden mit seinem Zeitrahmen. Aber es
half nichts. Entschlossen ging er zur Kapelle hinauf.
*
»Was soll ich denn jetzt machen?«, raunte Monika Schlagbauer dem
Bürgermeister hilflos zu, während sie professionell in den Saal lächelte.
»Sie müssen den Presssack anschneiden«, zischte ihr der
Bürgermeister zwischen grinsenden Zähnen zu.
Unbeholfen griff die Staatssekretärin nach dem großen Küchenmesser
und begann umständlich, den großen Presssack anzuschneiden, der ihr von Metzgermeister
Felgenhauer auf einem großen Holzbrett serviert wurde.
»Und nun werde ich das Fürstenlos aus der Trommel ziehen!«,
deklamierte Bürgermeister Feiler derweil und griff in die Trommel. » And the
winner is … Kapellmeister Lipsky.«
Kapellmeister Ewald Lipsky errötete, erhob sich und begann unter
großem Gejohle, sich verschämt auf die Presssackkönigin zuzubewegen, die es
inzwischen geschafft hatte, eine unförmige Scheibe vom Presssack abzuschneiden.
Ein ihr wohlbekannter, strenger Geruch stieg ihr von der Schnittstelle in die
Nase. Unangenehm berührt betrachtete sie die Wurst auf dem Holzbrett vor sich.
Alle Bürger und Bürgerinnen im Saal hatten es ihr schon gleich getan
und ihre Presssackscheiben auf eine Scheibe Bauernbrot gelegt, das jeder nun
stolz und in froher Erwartung in die Höhe hielt. Der seltsame Geruch breitete
sich im Saal aus, wurde jedoch in der bierseligen Stimmung von niemandem
bemerkt.
Bemerkt hatte die Presssackkönigin jedoch Dorfkapellmeister Ewald
Lipsky, der nun wie ein verschüchterter Schulbub vor ihr stand und nervös sein
Glückslos in der Hand drehte. Seine Augen waren starr auf sie gerichtet und
lächelten bedeutungsvoll.
»Und was hat es mit diesem Fürstenlos auf sich?«, fragte sie ratlos
den Bürgermeister, während sie naserümpfend zwischen Presssack und Lipsky hin
und her blickte.
»Nun«, erklärte ihr Feiler sachlich, während er fröhlich ins
Wahlvolk winkte, »der Inhaber des Fürstenloses hat das Recht, die kommende
Nacht mit der Presssackkönigin zu verbringen. … Und jetzt aufessen, agschnittn
is!«, rief er, und alle
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