Blutfeuer
Braumeisters und auf und davon. Noch lange danach, als
schon keine Blitze zu sehen und kein Donner mehr zu hören waren, saß Dietmar
Müller auf dem Betonboden der überdachten Laderampe und schaute geschockt im
Dauerregen auf die vertrockneten, hellen Vierecke der Wiesen, die einmal der
Standort der Bionadekästen gewesen waren.
Die Bewohner des Gutes
Leimershof, oberhalb der Gemeinde Breitengüssbach, hatten sich in der Reithalle
des Gestütes verschanzt. Als sie die Meldung von einem Tornado im Tal in den
Nachrichten hörten, hatten sich alle zum Rückzug ins größte Gebäude auf dieser
Höhe entschlossen. Doch anscheinend war die Realität nur halb so schlimm. Es
kam nur ein kurzer Hagelschauer herunter, und für höchstens fünfzehn Minuten
wehte ein zugegebenermaßen heftiger Wind. Dann, nach einer halben Stunde, war
alles wieder halbwegs ruhig.
Hartmut Kann, der Hüter der
Gebäude, die sich rund um den Golfplatz gruppierten, steckte als Erstes seinen
wild frisierten Kopf nach draußen. Erleichtert atmete er auf. Sein kleiner
Biergarten war noch da. »Ihr könnt rauskommen, ihr Schisser!«, rief er nach
drinnen, und das verschüchterte Volk ließ sich nicht zweimal bitten.
Erleichtert begaben sich alle ins Freie. »Glück kabt, Freunde!«, meinte Kann zu
der Gruppe. »Des gibt a Runde Rauchbier.«
Der Biergarten hatte den
Sturm fast unbeschadet überlebt: Nur ein paar Fahnen waren verschwunden, und
die Biergarnituren lagen kreuz und quer. Erleichtert schritt Hartmut Kann mit
seinen Helfern in die Mitte des Platzes, um die Tische und Bänke wieder
aufzustellen, die vom Mond beschienen wurden. Als der Wirt stehen blieb, liefen
alle anderen protestierend von hinten auf ihn auf. Doch Hartmut Kann wusste,
dass etwas nicht stimmen konnte. Im Normalfall war es nicht möglich, dass der
Mond sie von links oben beschien. Im Normalfall stand dort die Scheune mit den
Boxen für die Pferde des Gestüts.
Mit einem klammen Gefühl in
der Brust trat er aus dem Biergarten und sah, dass er nichts sah. Das Gestüt
war verschwunden. Von den beiden Scheunen waren nur noch die Reste der
Grundmauern übrig, von Zäunen und sonstigen Absperrungsanlagen oder Koppeln
fehlte jede Spur. Direkt an der Buschreihe zum Ausschank hin waren die Gebäude
wie mit einem riesigen Rasenmäher abrasiert worden. Alles verschwunden. Doch
was ihn am meisten erschreckte: Auch die Pferde waren nicht mehr da. Das Gestüt
auf Gut Leimershof existierte nicht mehr. Der ehemalige Herr der Ställe setzte
sich erst einmal auf den Hosenboden.
»Ich glaab, Hartmut«, konnte
er von hinten einen trockenen Kommentar hören. »Ich glaab, du drinkst jetzt
lieber amal a Bier zu viel als zu wenig.«
Hartmut Kann beschloss nach
einigen Sekunden des Begreifens, diesem Ratschlag schleunigst Folge zu leisten.
Und so verloren viele
Menschen in dieser Nacht ihr Hab und Gut und nicht wenige ihr Leben. Etliche
Tornados und Windhosen hatten das fränkische Land in dieser Nacht fest in ihrem
Griff.
In Hohenschwesendorf, noch
weit hinter der Stadt Hof, nahe der tschechischen Grenze, vernichtete eine
Windhose einen einsamen ehemaligen Holzfällerhof. Von dem alten Anwesen blieb
nur noch ein Stück kurz rasierte Wiese übrig. Der darin allein lebende Musiklehrer
wurde samt seiner Instrumente und der Katze niemals wiedergesehen.
In Teuschnitz an der
thüringischen Landesgrenze wurde das Dach des Jugendhauses am Knock von einem
gewaltigen Hagelschauer durchlöchert. Als die Betreuer und Kinder daraufhin in
den Keller geflüchtet waren, hob ein Tornado das gesamte Gebäude hoch, zerlegte
es in seine Einzelteile und nahm diese, zusammen mit dem Hausmeister, kostenlos
nach Thüringen mit.
In Hassfurt wurden die
Fahrzeuge zweier Autohäuser von einem Minitornado in nur wenigen Sekunden im
wahrsten Sinne des Wortes in alle Winde zerstreut. Im restlichen Franken wurde
das nur mäßig bedauert, da Hassfurt gemeinhin und bewiesenermaßen als Heimat
der schlechtesten Autofahrer der Welt gilt. Ein paar Audis und VW s weniger waren somit zu verschmerzen.
Bei Schmalkalden, der
schönen mittelalterlichen Stadt Südthüringens, wurde eine Herde Schafe plus
Schäferhund von Tausenden von Getränkekästen erschlagen, die auf einmal vom
Himmel regneten. Nur der Schäfer überlebte knapp, aber schwer verletzt.
Doch kein Tornado richtete
in dieser denkwürdigen Nacht mehr Schaden an als derjenige, der sich vom
Itzgrund bis an den Rennsteig seine kilometerlange zerstörerische
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