Blutfeuer
sich nur
wenige Kilometer entfernt hinter einer Hügelkette der Itzgrund befand. Erst
konnte Lagerfeld nichts erkennen, doch dann sah er, wie sich an der Wolkenbasis
der sichelförmigen Formation sackartige Ausbuchtungen lösten und regelrecht
nach unten fielen.
»Mammatuswolken«, statuierte Daniel Brosst. »Es wird geschehen,
heute Nacht.« Er senkte seinen Arm und schaute weiter unverwandt zu den Hügeln
hinüber. Lagerfeld kam alles so unwirklich vor, als befände er sich in einer
Filmkulisse zu Dreharbeiten des »Herrn der Ringe«. Aber das hier war die
Realität. Er konnte alles sehen, fühlen und hören. Wieder krachten Blitze ins
Maintal, diesmal schon sehr viel näher. Die Menschen neben ihm stöhnten auf:
Aus dem sackartigen Gebilde war ein trichterförmiger Wirbel entstanden, der
sich zielstrebig seinen Weg auf die Erdoberfläche suchte. Dessen Bodenberührung
konnte man nicht erkennen, da die Hügel die Sicht auf den unteren Teil des
Trichters versperrten, aber Lagerfeld musste nicht alles sehen, um zu
begreifen, was sich da abspielte. Auf der anderen Hügelseite hatte sich im
Itzgrund ein Tornado gebildet. Ein Tornado, dessen Rüssel stetig größer wurde
und sich in Richtung Norden weiterbewegte.
Der Kommissar brauchte einige Zeit, um das, was er gerade gesehen
hatte, zu verarbeiten. Bis jetzt kannte er solche Bilder nur aus dem Kino, aber
gerade war aus Fiktion knallharte Realität geworden. Also war es endlich so
weit, dachte er sich. Hat uns die Klimakatastrophe endgültig erreicht. Alle
haben es gewusst, jeder wurde gewarnt, aber erst jetzt werden alle glauben und
sehen, dass es zu spät ist.
»Das Ende Babylons«, hörte er Daniel Brosst, und die Gemeinde um ihn
herum wiederholte die Worte mit beschwörendem Tonfall.
»Das Ende Babylons.«
Lagerfeld riss sich von der bizarren Szene los und begann zu laufen,
so schnell er konnte. Im einsetzenden Regen erreichte er sein Cabrio und sprang
mit einem Satz hinter das Lenkrad. Die Befragung hatte Zeit, jetzt galt es,
Menschen zu warnen. Hektisch gab er Honeypenny die unglaubliche Nachricht durch
und trug ihr auf, alle Gemeinden von Bamberg bis Coburg zu benachrichtigen. Er
klappte das Handy zusammen, warf es auf den Beifahrersitz, dann steuerte er mit
quietschenden Reifen seinen Honda den Berg hinunter Richtung Itzgrund, dem
größer werdenden Rüssel des Tornados hinterher.
Ein leibhaftiger Tornado. Dass er das noch erleben musste. Das
konnte doch alles nicht wahr sein. Eigentlich hatte er mehrere Mordfälle zu
lösen, und stattdessen durfte er jetzt Rettungsengel spielen. Schnell
verdrängte er den Gedanken wieder, da er sich auf seine höllische Fahrweise
konzentrieren musste. Als er den Scheitelpunkt der Hügel zum Itzgrund bei
Birkach überquerte, hörte er die ersten Sirenen heulen.
*
Monika Schlagbauer war außer sich. So etwas war ihr bisher noch nie
passiert. Erst versuchte man, sie auf offener Straße umzubringen und dann, als
der Angriff fehlgeschlagen war, in einer archaischen Zeremonie öffentlich zu
vergiften. Mit einer fränkischen Lebensmittelbombe. In ihrem ganzen Leben hatte
sie keinen so abscheulichen Geschmack im Mund gehabt. Die Dorfbewohner
allerdings wohl auch nicht, denn der Festkommerz löste sich bereits nach
wenigen Bissen und dem Erscheinen der Feuerwehr in einem wilden Tumult auf.
Durch das Chaos von Ekelbekundungen und verunsicherten Gästen hatte sie sich zu
dem Seiteneingang vorgearbeitet und die Straße Richtung Gleusdorf erreicht.
Nur ihr Fahrer hatte es geschafft, ihr zu folgen, und versuchte nun
verzweifelt, sie im strömenden Regen einzuholen. Rechts und links schossen die
Einsatzfahrzeuge von THW und
Feuerwehr vorbei. Der ganze Itzgrund war in Blaulicht getaucht und wurde von
den Blitzen der Sturmfront erleuchtet. Aber Monika Schlagbauer war so wenig zu
einer Richtungsänderung zu bewegen wie eine Horde Büffel bei einer Stampede. Es
war einfach zu viel für einen Tag gewesen, selbst für eine hartgesottene CSU -Politikerin. Das hier war nicht das
Bayern, das sie kannte. Sie wollte nur noch nach Hause, Richtung Süden, und
nichts und niemand würde sie davon abhalten können. Wütend stapfte sie am
Sportgelände vorbei, ohne sich um die Rufe ihres Chauffeurs zu scheren. Der
hatte seine Dienstherrin fast eingeholt, als ihn ein plötzliches Krachen
herumfahren ließ. Direkt hinter ihm war die große Tuba der Blaskapelle im Teer
eingeschlagen, und eine circa hundert Meter breite, rotierende Masse bewegte
sich
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