Blutfeuer
Ausrichtung seines Gegenübers.
Ohne Vorwarnung nahm dieser
die rechte Hand Lagerfelds in die seine und säuselte sanft: »Komm mit, Kind,
der Gesalbte wird dir die Welt erklären. Danach wirst du erkennen und erhellt
sein – für alles.« Dabei hob er den Blick und klimperte Lagerfeld mit
offensichtlich künstlichen Wimpern an.
Haderlein schaute verdutzt,
während der sanfte Jünger einen angewidert blickenden Lagerfeld hinter sich
herzog. Der Hauptkommissar schwieg und folgte den beiden. Als sie den am Boden
im Schneidersitz meditierenden Brosst erreicht hatten, gab der sanfte Jünger
die Ankunft der Polizisten bekannt, wobei er die Hand von Lagerfeld noch immer
nicht losließ. Dies erledigte der Kommissar selbst auf eher rüde Art und Weise,
was den Sanften aber mitnichten zu stören schien.
»Es sind Kinder der Erde
gekommen, Gesalbter, die erhellt werden möchten.« Dabei versuchte er erneut und
unauffällig, die Hand Lagerfelds zu erhaschen, aber dieser hieb ihm so auf die
Finger, dass dessen Hand erschrocken zurückfuhr. Einen Moment lang zeigte sich
ein fast protestierender Ausdruck auf dem weichen Gesicht, dann kehrte sofort
wieder das sanfte Lächeln zurück. Lagerfeld erschien es sogar noch seliger als
zuvor. Als hätte dem Jünger der kurze Schmerz gefallen. Irritiert wich der
Kommissar einen Schritt zurück.
»Du kannst gehen, Egbert«,
konnte man nun den Sitzriesen hören. »Kümmere dich bitte um die Vorbereitung
der Speisen.«
Der Angesprochene verneigte
sich und verschwand. Natürlich nicht, ohne Lagerfeld noch einen schmachtenden
Blick zu schenken.
»Wir haben heute Abend einen
Vortrag«, erklärte Daniel Brosst, während er die Augen öffnete und sie anlächelte.
»Dan Brown, Symbole und ihre Wurzeln in der keltischen Mystik. Ihr seid
herzlich eingeladen. Später sitzen wir dann alle zusammen im Gras und werden
uns gegenseitig –«
»Nein«, antwortete Lagerfeld
kurz und bündig, während er die Arme verschränkte und sich misstrauisch
umschaute, ob der warme Bruder womöglich wieder auftauchte. »Wir haben Dienst.«
»Wir wollen wirklich nur ein
paar kurze Auskünfte«, übernahm Haderlein jetzt die Konversation. »Was ist das
hier für eine Gemeinschaft, was ist Ihre Botschaft? Was soll das alles hier
darstellen?« Er hatte keine Lust, lange drum herumzureden.
Daniel Brosst deutete auf
die Wiese. »Bitte, setzt euch, Kinder. Mutter Erde wird euch die Antwort selbst
geben.«
Haderlein winkte Lagerfeld
kurz zu, der sich widerwillig zu ihm und Brosst setzte. Letzterer hatte wieder
seine Schneidersitzposition eingenommen. Dann begann er zu sprechen.
»Die Menschen sind Kinder
der Erde, und wir Babylonier sind aufgerufen, sie wieder daran zu erinnern.
Mutter Erde wird von uns Menschen nur noch benutzt, aber nicht mehr als Mutter
erkannt. Die Erde gehört zu unserer Familie. Der Boden, die Tiere und Pflanzen
gehören zu uns, wir sind eins. Doch der Mensch kümmert sich nicht um seine
Familie. Er rottet seine Brüder und Schwestern aus, um weiter an seinem Turm zu
bauen.«
»An welchem Turm?«, fragte
Lagerfeld, dem das Gesülze mächtig auf den Geist ging.
Doch der Spiritus Rector der
Babylonier zeigte keinerlei Ungeduld, sondern ging bereitwillig auf seine Frage
ein. »Am Turm zu Babel. Das unselige Bauwerk, welches die Menschheit schon
einmal errichtet hat, um sich dem Irrglauben hinzugeben, dem Menschen sei alles
möglich. Nun ist der Mensch wieder mit einem Turm beschäftigt. Erkenntnisse aus
Forschung und Technik eilen der Moral voraus. Doch nicht alles Machbare ist
sinnvoll. Im Gegenteil: Die Erkenntnisse werden das heutige Babel ins Verderben
stürzen.«
Haderlein hatte bis jetzt
schweigend zugehört. Er wusste nicht recht, ob das, was er da hörte, hochgradig
vernünftig oder purer Nonsens war. »Wie kommen Sie eigentlich auf diese
Weltuntergangstheorie?«, fragte er nach. »Das kann ja jeder behaupten.«
Brosst lächelte wieder. »Die
Violette Stendelwurz, die Bocks-Riemenzunge oder die Bienen-Ragwurz.«
»Äh, was?« Lagerfeld
verstand nur Bahnhof, und auch Haderlein zerknitterte wieder seine Stirn.
»Esskastanie, Feigenbaum und
Speierling werden euch vielleicht etwas mehr sagen«, erklärte Brosst geduldig.
»All diese Geschöpfe der Mutter Erde sind bereits in unserem Lebensraum zu
finden, obwohl sie eigentlich hier nicht hingehören. Sie sind Gäste, weil der
Mensch das Erdenfieber ansteigen lässt. Die Traubige Graslilie, das
Purpur-Knabenkraut –«
Ȁh, Speierling?
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