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Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)

Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)

Titel: Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CJ Lyons
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Richtung, in die man ihren Sohn zuletzt hatte laufen sehen. Mit einer Hand bedeckte sie den Mund, als unterdrückte sie einen Schrei. Ihre Haltung war steif. Lucy drehte sich ab, um ihr etwas Privatsphäre zu geben, und hielt Ausschau nach Reportern oder anderen Schaulustigen, die ein Interesse daran haben könnten, Colleens Ruhemoment zu stören.
    Lucy hatte vergessen, wie sehr sie den Winter in Pennsylvania hasste. Gar nicht einmal so sehr wegen der Kälte oder des Schnees, sondern wegen der absoluten Tristesse. Die Wolken drückten förmlich nach unten, als wollten sie jegliches Leben abtöten. Der Wind zwängte sich hartnäckig noch durch den winzigsten Zwischenraum der Kleidungsnähte. Das allgegenwärtige Grau erstickte jede Energie, als habe es zwar schon die Sonne verschluckt, aber immer noch Appetit auf mehr Licht. Lucy ließ ein paar Minuten verstreichen. Dann versuchte sie, Colleen ein bisschen abzulenken. Zu viel Nachdenken machte die Dinge oft nur schlimmer.
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass die Winter so grau waren, als ich ein Kind war. Ich erinnere mich an blaue Himmel und daran, wie ich aus dem Bett sprang und auf einen Tag voller Schnee hoffte.«
    Die Winter ihrer Kindheit, an die sie sich erinnerte, waren voller Sonnenlicht gewesen, das von den unberührten Schneeverwehungen reflektiert wurde, die nur darauf warteten, dass sie sich mit ausgebreiteten Armen hineinwarf. Ihre Abdrücke in dem weißen Funkeln hatten die Form von Engeln. Sie erinnerte sich an das Lachen ihrer Eltern, das normalerweise vom Klicken einer Kamera begleitet wurde. An besonderen Tagen warfen sie sich mit ihr in den Pulverschnee und rollten sich durch das Weiß. Dabei lachten sie so laut, dass sie auf dem Rücken liegenblieben und sich bei den Händen fassten. Ihr fröhliches, unbeschwertes Japsen und Prusten erfüllte die Luft.
    » Marty ist auch so.« Colleen rang mit den Händen. »Wenn Schnee vorhergesagt ist, steht er noch früher auf als sonst. Verstehen Sie mich nicht falsch, er geht gerne zur Schule, aber so sind kleine Jungs eben. Ganz aufgeregt wegen der vielen Möglichkeiten.«
    »Meine Tochter ist vor kurzem dreizehn geworden und sie ist noch immer so. Aber ich? Ich will einfach nur im kuscheligen Bett bleiben. Alles sieht so grau aus, wenn es schneit. Bitter und düster.«
    »Vielleicht liegt es am Klimawandel?«
    Diese herrlichen Winter hörten auf, als Lucy zwölf war und ihr Vater starb. Danach war ihr immer kalt gewesen. Vielleicht lag das daran, dass sie sich weigerte, Mützen, Stiefel oder Handschuhe zu tragen. Und etwas anderes als die coole »Mir ist alles scheißegal«-Jeansjacke ihres Vaters war sowieso nicht drin. Die Winter damals schienen endlos. Sie und ihre Mutter saßen in dem winzigen Haus, das so vollgestellt war und gleichzeitig so leer wirkte, und kratzten an den frischen Narben, die der Tod ihres Vaters hinterlassen hatte. Ihren Zauber gewannen die Winter nicht zurück. Nicht nach dem, was damals passiert war. Und mit Sicherheit auch nicht an diesem Morgen vor der Schule.
    Lucy kapitulierte vor der Kälte und verschloss ihren Parka ordentlich. Sie würde auf niemanden schießen müssen, zumindest nicht während einer Such- und Rettungsaktion. Bislang sah es immer noch ganz so aus, als wären zwei kleine Jungs auf eigene Faust in den Wald gegangen und als hätten sie sich dort verlaufen. Colleen schwieg. Lucy kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Wind zu schützen, der über den Neuschnee pfiff und alle Beweise vernichtete. Dann stampfte sie mehrmals auf, um etwas Gefühl in ihre Zehen zu bekommen. Kalifornien. Jenna litt sicher noch mehr als sie. Es beeindruckte Lucy, dass sie sich nicht beschwerte, sondern sich ganz und gar der Aufgabe widmete, die Suchmannschaften zu koordinieren und ihre Ergebnisse zu protokollieren.
    Die allerdings waren sehr dünn. Es sah nicht gut aus für Marty und Darrin. Ein paar der erfahrenen Experten hatten die Spur der Jungen über einen knappen halben Kilometer lang verfolgen können. Sie führte von der Schule in den Wald, der sich um die Flanke des Berges schmiegte, verlor sich aber dann im Schnee. Eine andere Mannschaft hatte die Spuren eines Erwachsenen gefunden, aber sie führten an einer ganz anderen Stelle in den Wald und auf einen Molkereibetrieb zu, bevor auch sie vom Schnee verweht worden waren. Das war alles. Zwei Jungen wurden seit vierzehn Stunden vermisst, und mehr als geisterhafte Fußabdrücke, die sich im Schnee verloren, hatte man nicht

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