Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Vergangenheit aller Personen zu überprüfen, mit denen die Jungen zu Hause oder in der Schule Kontakt gehabt hatten. Sie hatte gerade angefangen, als O’Hara – der Kommissar, der am Tag zuvor ihre Aussage nach der Schießerei aufgenommen hatte – an ihren Schreibtisch trat.
»Ich dachte, es könnte Sie interessieren, dass Roy angefangen hat zu reden.«
»Das ist gut.« Ohne Bob fühlte sich diese Genugtuung allerdings schal an. Sie dachte an ihr Zusammensein im Beobachtungsraum. Traurigkeit erfüllte sie. Ein bitteres Gefühl. Sie war die letzte Person, mit der er Sex gehabt hatte, leeren, bedeutungslosen Sex. Wie verkorkst war das denn?
»Ja, und dann gibt es noch eine gute Nachricht. Der Gerichtsmediziner hat angerufen. Keine Spuren einer zweiten Leiche in dem Mobilheim.«
»Zweite Leiche?«
»Das kleine Mädchen. Sally.« Er neigte den Kopf. »Ich kann wirklich gut darauf verzichten, es mit einem toten Kind zu tun zu haben. Besonders nach allem, was schon passiert ist.«
»Danke, O’Hara.«
Als der Kommissar gegangen war, starrte Jenna mit leerem Blick auf den Computerbildschirm. Alles, was sie sah, war Bobs Körper, den Griff des Messers, das Blut.
»Jenna.« Lucy und der Sheriff rauschten herein. »Komm mit.«
Jenna hielt kurz den Atem an. Das war besser, als ihrer Vorgesetzten zu sagen, sie solle sich zum Teufel scheren, und damit die eigene Karriere zu zerstören. In ihrem Magen brannte die Wut dennoch. Lucy war nach draußen geeilt, bevor Jenna ihren Laptop zugeklappt hatte. Sie nahm ihre Tasche und schlüpfte in ihre Jacke. Sie hatte die Schlüssel für den Taurus, weshalb Lucy ungeduldig wartend im Schneetreiben stand. Ihr Parka war offen und die Schneeflocken, die auf ihr dunkles Haar fielen, sahen aus wie Schuppen.
»Was gibt es?«, fragte Jenna und ließ sich alle Zeit der Welt, um die Autoschlüssel hervorzukramen. Der Sheriff und sein Fahrer preschten in ihrem Wagen an ihnen vorbei. Schneematsch spritzte auf Lucy.
»Beeil dich, verdammt noch mal! Es gab gerade eine Lösegeldforderung.«
Scheiße. Erpresserische Entführung. Das war eine andere Nummer. Jenna riss die Fahrertür auf und warf sich auf den Sitz. Die Tasche mit dem Laptop verstaute sie auf der Rückbank.
»Wo?«
»Bei den Hardings.«
Lucy beschrieb ihr den Weg, obwohl sie dem Wagen des Sheriffs folgten, dessen Blinklichter blaue und rote Muster in den Schnee warfen.
»Ich kapiere das nicht. Warum wartet man bis jetzt, um eine Lösegeldforderung zu stellen?«
»Um unsere Zeit zu verschwenden. Damit wir doof dastehen. Damit wir zu viele lose Enden verfolgen.« Die Liste war endlos. »Um abzuwarten, bis Harding nach Hause kommt.«
»Ja, stimmt, er ist der Mann mit dem vielen Geld.« Jenna hatte keine Lust mehr, andauernd über offensichtliche Sachverhalte zu diskutieren. Aber Lucy sprach dennoch weiter, als müsse sie sich selbst über die Vielzahl an Gründen klar werden.
»Aber so hatten wir auch genug Zeit, aus allen Ecken des Staates Unterstützung anzufordern. Für Harding wäre es besser, alles unter dem Teppich zu lassen.«
»Vielleicht geht es gar nicht ums Geld.«
Lucy überlegte kurz.
»Möglich. Harding hat weiß Gott viele Feinde.«
»Öffentlich kann man ihn nicht angreifen. Nicht mit einer Sympathieträgerin wie seiner Frau an seiner Seite. Dadurch, dass er ihre Tragödie ausgeschlachtet hat, konnte er seine Einnahmen fast verdreifachen.«
Etwas daran störte Jenna, aber die Straße wand sich in einer scharfen Kurve und sie musste sich darauf konzentrieren, dass der Taurus nicht ins Schleudern geriet. Sie fuhr eine Weile, ohne etwas zu sagen. Dann schnitt sie das Thema an, über das Lucy nicht diskutieren wollte.
»Selbst unter diesen Umständen kannst du Caine als Täter nicht ausschließen.«
Lucy fummelte am Gebläse.
»Du glaubst, dass ein vierzehnjähriger Junge, der nach der vierten Klasse von der Schule abgegangen ist und keinerlei finanzielle Mittel hat, mit den Kindern von New Hope Rattenfänger spielt? Warum?«
»Vielleicht geht es ja doch ums Geld. Für einen Mann wie Harding sind eine Million Dollar keine riesige Summe, aber es ist eine beeindruckende Menge Geld für ein Kind. Oder er ist wütend darüber, dass er ohne Mutter aufwachsen muss und die anderen Kinder alle eine Mutter haben.«
»Warte ab, bis du Karen Harding getroffen hast. Dann überdenkst du diese Theorie vielleicht noch einmal.«
Lucy rutschte auf ihrem Sitz hin und her. Mit einem Fingerknöchel klopfte sie einen
Weitere Kostenlose Bücher