Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Whiskey hervor und schenkte sich und ihr jeweils etwas in einen Plastikbecher. Schweigend prosteten sie sich zu und tranken. Der Whiskey rann geschmeidig durch ihre Kehle und wärmte ihren Bauch. Zeller hielt ihr fragend die Flasche hin, aber eine zweite Runde lehnte sie ab.
»Ich kann einfach nicht anders, als mich verantwortlich zu fühlen«, gab sie schließlich zu. »Wenn wir eher dort angekommen wären …«
»Wäre er auch tot.« Zeller drehte Lucy den Computermonitor hin und spielte an seinem Schlüsselbund. »Ich muss mir das andauernd ansehen.«
Ein körniges schwarz-weißes Überwachungsvideo lief über den Bildschirm. Man sah das Innere der Sheriffwache von New Hope. Die Uhrzeit zeigte 6.12 Uhr morgens. Da waren Lucy und Jenna noch immer an der Schule. Die Eingangstür ging auf, und ein Mädchen trat ein. Es sah sich um. Es war dick in Schneekleidung eingepackt und sah sehr jung aus, elf vielleicht, oder zwölf? Erst zögerte es und ging schließlich hinüber zu der Sicherheitstür, die in den Bürobereich führte, und klingelte. Die Kamera befand sich direkt oberhalb der Sicherheitstür, damit sie den gesamten Empfangsbereich einfangen konnte, weswegen man nur die Mütze des Mädchens sah, deren Bommel hin und her wippten, während es mit jemandem sprach. Plötzlich verschwand es ganz aus dem Bildschirm, als sei es von jemandem in den Bürobereich gezogen worden. Das Letzte, was man sah, war der Absatz eines der Schneestiefel des Mädchens, der durch die Luft zu fliegen schien.
»Was zum Teufel soll das?«
»Sehen Sie weiter hin«, sagte Zeller grimmig.
Dann floss ein dunkles Rinnsal ins Bild.
»In diesem Moment ist schon alles vorbei.« Zeller schenkte sich einen weiteren Drink ein. »Bob hatte nicht einmal Zeit, seine Waffe zu zücken. Der arme Kerl.«
Außer dem stetig fließenden Rinnsal sah man für die nächsten Momente keine weitere Bewegung. Keine zwei Minuten, nachdem es aus dem Bild verschwunden war, tauchte das Mädchen wieder auf. Diesmal allerdings zusammen mit Adam Caine. Er ging hinter ihr, einen Arm eng um das Mädchen geschlungen. Adams Augen waren schreckgeweitet und seine Miene war voller Entsetzen, als er noch einmal über seine Schulter sah und direkt in die Kamera blickte. Er schüttelte den Kopf und seine Lippen formten nur ein einziges Wort:
»Nein.«
Dann waren die beiden verschwunden. Nur die Blutlache wurde immer größer.
»Ich weiß, dass es sich hier um eine von Ihnen gesuchte Zielperson handelt«, begann Zeller mit scharfem Unterton. »Aber er hat einen meiner Männer umgebracht, deshalb habe ich ihn zur Fahndung ausschreiben lassen. Ich habe meinen Leuten gesagt, dass er bewaffnet und gefährlich ist, und dass sie jegliche Vorsichtsmaßnahme walten lassen sollen, wenn sie sich ihm nähern.«
Das war die politisch korrekte Art zu sagen, dass man ihn erschießen konnte.
»Sie wissen nicht, ob es Adam war«, argumentierte Lucy. Zeller stand auf. Sein Gesichtsausdruck war angewidert und zornig.
»Ach ja, und wer war es dann? Houdini? Da war sonst niemand!«
»Wer ist das Mädchen?«
»Sie glauben, ein kleines Mädchen war schneller als einer meiner besten Männer und hat ihn umgebracht? Und hat dann Adam Caine mitgenommen als – was? Als Geisel?«
Da war kein Spaß in seinem Lachen. Nur Hohn und Spott.
»In den Augen des FBI mag ich ja ein Bauerntrampel-Sheriff sein, aber dumm bin ich nicht. Dieser Junge hat sich die Verwirrung zunutze gemacht und nicht lang gefackelt. Hat meinen Hilfssheriff kaltblütig abgestochen. Und jetzt ist noch ein weiteres Kind verschwunden. Wenn sie ihm nicht mehr dienlich ist, ist sie so gut wie tot.«
»Wer ist das Mädchen?«
Zeller blickte irritiert auf.
»Wie?«
»Auf dem Parkplatz standen keine weiteren Autos, und als wir dort eintrafen, gab es keine Hinweise darauf, dass zuvor ein Auto dort gewesen wäre. Das Mädchen muss zu Fuß gekommen sein. Weshalb es wohl aus der Gegend stammt. Also, um wen handelt es sich?«
Zeller schüttelte den Kopf und drückte beide Hände gegen seine Wangen, als seien sie taub geworden. Lucy griff über den Schreibtisch hinweg nach der Whiskeyflasche und schraubte den Deckel darauf. Die Flasche war fast voll, er hatte nicht viel getrunken. Aber er musste jetzt einen klaren Kopf bewahren, wenn sie das Problem lösen wollten, bevor irgendein übereifriger Hilfssheriff Adam erschoss.
»Ich habe keine Ahnung«, murmelte er. »Irgendwo wacht gerade eine Familie auf und sieht sich ins Unglück
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