Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
schüttelte sachte den Kopf, und sein Finger tastete wieder nach seinem Hut, obwohl der Stetson unten in der Garderobe hing.
»Ich bezweifle, dass er auch nur irgendetwas sagen wird, das Ihre Fragen beantwortet.«
Wenige Minuten später erschien der Kommissar. Zu Jennas Überraschung handelte es sich um einen Afroamerikaner. Ungewöhnlich für diese ländliche, von Weißen dominierte Gegend. Er mochte Ende Fünfzig sein, älter als der Sheriff, und Jenna fragte sich, wie er wohl hier gelandet war – in einem zugigen Zimmer, das nach alten Socken roch, in einem Gebäude, das so alt war, dass eigentlich nur noch der Burggraben fehlte. Was für eine Umgebung für das Ende einer Laufbahn.
»Lassen Sie mich raten«, sagte sie, um das Eis zu brechen, während er das Aufnahmegerät anschloss. »Ihre Familie melkt seit zweihundert Jahren Kühe, habe ich recht? Das scheint hier jedenfalls jedermanns Geschichte zu sein.«
Er lachte leise. Sein tiefes, unverstelltes Brummen brachte sie zum Lächeln. Sie hatte etwas übrig für Männer, die Humor hatten.
»Nicht so meine Familie. Soweit ich weiß, haben die früher Autos frisiert und sind sternhagelvoll durch Newark getorkelt.« Er reichte ihr die Hand.
»Ed O’Hara.«
»O’Hara?«
»Mein Stiefvater hat mich adoptiert. Seine Vorfahren waren vor zweihundert Jahren Kartoffelbauern, bis sie ins britische Heer eingezogen und hier herübergeschickt wurden. Die Burschen verliebten sich in diese Gegend, weil es hier angeblich genauso viele Grüntöne wie zu Hause in Kerry gab, also blieben sie.«
»Ich habe heute nicht viel Grün gesehen.«
Er warf ihr ein wissendes Lächeln zu.
»Kommen Sie im Frühsommer wieder. Im Juni. Wenn der Lorbeer blüht und der Weizen so lieblich duftet.« Er seufzte und schlug dann sein Notizbuch auf.
»Sind Sie bereit?«
Zuerst ließ er das offizielle Brimborium für die Aufnahme vom Stapel: ihre Rechte, Zeit, Datum und Ort des Verhörs, seine berufliche Zulassung. Sie vergaß beinahe, warum sie überhaupt hier waren. Dann nickte er ihr zu. Sie konnte beginnen. Ihre Aussage dauerte keine vier Minuten und kam ihr flüssig von den Lippen, so, wie sie es im Auto geübt hatte. Sie klang wie jede andere Zeugenaussage, die sie jemals aufgenommen hatte. Nichts deutete auf den Schock hin, der sie überfallen hatte, kein Beben in der Stimme verriet ihre sich windenden Eingeweide. Erstaunlich, wie schnell ein Menschenleben abgehakt werden konnte. Ein paar Sätze, und es war vorbei. Ed stellte noch ein paar Fragen fürs Protokoll. Aber da der gesamte Zwischenfall von der Einsatzzentrale sowie von Bobs Kamera auf dem Armaturenbrett mitgeschnitten worden war, gab es eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Er schüttelte wieder ihre Hand.
»Vielen Dank, Ms Galloway. Lassen Sie mich bitte wissen, wenn ich etwas für Sie tun kann.«
Sie blieb noch einen Moment sitzen. Ihre eine Körperhälfte fror wegen des eisigen Luftzuges, die andere schwitzte, nachdem die Heizung doch noch angesprungen war. Leroy Lamont lag mittlerweile irgendwo in irgendeinem Leichenschauhaus, und die Beweisaufnahme ging ihren routinierten Gang. Das war alles, was blieb. Er war kein Mensch mehr, nur noch ein Fall. Wenigstens konnten seine Angehörigen ihn beerdigen und wussten, wie und warum er gestorben war. Das war mehr als in den meisten Fällen der entführten Frauen. Frauen wie Rachel Strohmeyer. Jenna wünschte, sie hätte vor ihrem Tod mit ihr sprechen können. Sie war sich nicht ganz sicher, woher dieser Wunsch rührte. Vielleicht lag es an ihrem Ausraster in der Höhle am Vormittag. In jedem Fall hatte sie das Bedürfnis und würde es nie stillen können. Sie verließ das Verhörzimmer und ging zu Bob in den Observierungsraum.
»Fehlt Ihnen etwas? Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Bob. Sie sah die Besorgnis in seinen Augen. Jeder fragte sie dasselbe. Was ihr fehlte, war ein Tequila und eine Nacht zügelloser Sex, um die Erinnerung an Leroys sich bewegende Lippen, sein warmes Blut und den Gestank des Feuers auszulöschen. Aber auch dieses Bedürfnis würde sie nicht stillen können. Oder vielleicht ja doch … Sie zog ihren Stuhl dicht an Bobs Stuhl heran und fasste nach seiner Hand.
»Vielen Dank. Auch dafür, dass Sie Lucy nicht erzählt haben, dass ich heute Vormittag in der Höhle zusammengeklappt bin.«
»Da gab es nichts zu erzählen.«
Er verschränkte seine Finger mit ihren.
»Darf ich Sie etwas fragen? Sie müssen nicht antworten, wenn Sie nicht wollen,
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