Blutheide
einzige Lichtquelle versiegt war. Warum war sie bloß so unvernünftig gewesen? Jeder Polizeischüler im ersten Semester wusste, dass man nicht auf eigene Faust losging, und wenn die Spur noch so heiß war. Und schon gar nicht, ohne eine brauchbare Nachricht zu hinterlassen! Sie versuchte krampfhaft, sich zu erinnern, was sie in die SMS an Ben geschrieben hatte. Hatte sie den Namen der Kolonie genannt? Nein … wie auch, sie hatte ihn selbst kaum wahrgenommen, als Saalbach sie hergebracht hatte. Wie viele Laubenkolonien mochte es in Lüneburg und Umgebung wohl geben? Sie hatte keine Ahnung. Noch dazu konnte sie ja nicht einmal sicher sein, dass Ben und Tobi ihre Gefahrensituation erfassten. Sie hatte schließlich keinen Hilferuf abgesetzt, sondern nur eine unvollständige SMS. Katharina schüttelte stumm den Kopf. Mal vorausgesetzt, dass sie hier jemals wieder raus kam, würde sie vermutlich ihren Job los sein. Ben würde sich das nicht gefallen lassen. Auch wenn sie Laura gefunden hatte – das war letztlich als Zufall auslegbar. Ansonsten hatte sie so ziemlich alles falsch gemacht, was sie bei ihrem ersten Job hier hatte vermasseln können. Katharina sah zu Laura hinunter, die sich fest in ihren Arm gekuschelt hatte, sich aber nicht rührte.
»Laura, bist du okay?«, fragte Katharina sachte.
Leises Schluchzen gab der Kommissarin das beruhigende Gefühl, dass die Kleine noch bei Bewusstsein war, doch sie wusste genau, dass Laura nicht mehr lang durchhalten würde. Sie war extrem geschwächt und verängstigt. Wo mochte Saalbach jetzt stecken? Würde er wiederkommen? Katharina konzentrierte sich auf das Profil, das sie vom Täter erstellt hatte. Möglicherweise half es ihr, zu erahnen, was noch kommen konnte. Auf jeden Fall aber lenkte es sie ab und hielt sie wach.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch von oben. Es klang, als wenn etwas zertrümmert wurde. Dann war wieder Ruhe. Auch Laura schien es gehört zu haben, denn sie zuckte in Katharinas Arm ängstlich zusammen.
»Ruhig, Laura, vielleicht kommt da schon Hilfe.«
Katharina wäre sich da gern sicher gewesen, doch es konnte genauso gut Saalbach sein, der nach einer Weile der Überlegung jetzt dort oben seiner Wut freien Lauf ließ. Schließlich hatte sie selbst sein Profil erstellt und hatte daraus hergeleitet, dass der Täter mit Begebenheiten, die seinen Plan durcheinander brachten und ein Umdenken erforderten schlecht umgehen konnte. Und sie, Katharina, hatte allein durch ihr Auftauchen bei ihm seinen irren Plan durcheinandergebracht! Sie löste sich vorsichtig von Laura und kroch direkt unter die Luke, in der Hoffnung, die Geräusche aus der Hütte von dort besser einordnen zu können. Sie hörte Schritte. Dann war wieder Ruhe. Dann wieder Schritte. Aber diese klangen anders. Das würde bedeuten, dass sich dort oben nicht nur eine Person aufhielt. Die Dielen der Hütte waren aufgrund ihres Alters zum Glück nicht sehr dick, und vor allem schlossen sie die Verbindungsluke nicht komplett. So war Katharina überzeugt davon, in den plötzlich hörbaren Worten oberhalb der Luke die Stimme von Tobi zu erkennen. Sie schrie, so laut sie konnte: »Hier – Tobi? Wir sind hier – Laura und ich – hier unten!«
13.23 Uhr
Ben sah Tobi an – sie hatten beide deutlich Katharinas Stimme von unten gehört und konnten nun sicher sein, die richtige Spur verfolgt zu haben. Da Saalbach sich offenbar aus dem Staub gemacht hatte, mussten sie sich jetzt beeilen, ihre Kollegin und das Mädchen aus ihrem Gefängnis zu befreien. Es musste ein Keller oder Ähnliches sein, denn Katharinas Stimme war eindeutig von unten gekommen. Ben versuchte, im Raum einen Kellerzugang auszumachen und ließ seinen Blick erneut schweifen, fand jedoch nichts. Tobi hatte eine weitere Tür geöffnet, hinter der sich jedoch nur eine Toilette verbarg. Ratlos schauten die beiden sich an. Nahezu gleichzeitig ließen sie sich auf ihre Knie sinken und begannen den Fußboden abzuklopfen. Nichts. Dann, einer spontanen Eingebung folgend, rückte Ben den alten Tisch beiseite und klopfte dort, bis das bisher erstickte Klopfgeräusch heller wurde.
»Tobi, ich glaub, ich hab’s!«, rief er aufgeregt zu seinem Kollegen hinüber, der gerade dabei war, in der gegenüberliegenden Ecke das Linoleum mühsam vom Boden hochzuziehen. Tobi machte sich gar nicht erst die Mühe aufzustehen, sondern rutschte auf Knien zu der Stelle, die Ben bereits abtastete. Gerade als Tobi bei ihm ankam, spürte Ben eine kaum erkennbare
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