Blutherz - Wallner, M: Blutherz
er sich an, als ob er ein Vampir wäre.« Er stellte die Salatschüssel auf den Tisch.
»Und wie klingt ein Vampir am Telefon?« Sie war froh, dass ihr Vater die Sache so cool nahm.
»Gierig«, lächelte er. »Ich habe gesagt, er soll später noch
mal anrufen.« Er setzte sich, wartete, bis sie gegenüber Platz genommen hatte, und faltete die Hände. »Himmlischer Vater, wir danken dir für die Gaben, die wir durch dich genießen. Wir danken dir für die Gesundheit unseres kleinen Jungen. Wir danken dir dafür, dass du uns Licht und Dunkel unterscheiden lehrtest.«
Einen Moment war es still in der Küche.
»Ääkkhh«, machte der kleine John.
»Amen«, sagte Sam. Sie begannen zu essen. »Sind da Pinienkerne drin?«
Ihr Vater nickte.
»Hmmm! Du mauserst dich langsam zum Chefkoch.«
»Danke.« Er stocherte im Salat. »Damals, als Louise nicht mehr kochen konnte, weil sie den Geruch von Essen kaum noch ertrug …« Er atmete durch. »Da habe ich es eben lernen müssen.«
Sie legte ihre Hand auf seine. »Was hast du heute den ganzen Tag gemacht?«
»Ich habe unseren Anwalt getroffen. Er ist zuversichtlich.«
»Geht es den schottischen Jüngern Fortrius jetzt endlich an den Kragen?«, fragte sie aufgeregt. »Erzähl schon!«
»Er sagt, mit dem Material, das wir haben, kann er die Staatsanwaltschaft einschalten.«
»Verdammter Papierkram!« Sam kaute missmutig. »Wieso rufen wir nicht die Polizei, stürmen den Hadrianswall und befreien die armen Kreaturen?«
»Diese Ungeduld hast du nicht von mir geerbt.« Aus gütigen Augen sah ihr Ziehvater sie an. »Ich mache die Dinge eben langsam, dafür gründlich.«
»Stimmt schon, Papa, du hast ja recht.« Auch wenn Sam sich zuversichtlich gab, war ihr bei dem Gedanken, sich offen gegen die Gefolgschaft Fortrius zu stellen, mulmig zumute.
John deutete mit dem Kopf auf das Gewürzbord. »Da ist übrigens Post für dich gekommen.«
»Wir wohnen doch erst ein paar Tage hier.« Sie legte die Gabel beiseite. »Wer kennt denn diese Adresse?«
»Ich habe den Absender nicht gelesen.« Er aß weiter, doch seiner Miene war anzusehen, dass ihm das Päckchen auf dem Gewürzbord Sorge bereitete.
Sam hob das Baby auf die Schulter, stand auf und hielt das braun verpackte Ding ans Licht.
»Das ist … das kommt aus Rumänien.«
»Hmm«, machte der Vater nur.
»Was mag das sein?«
»Die sicherste Methode ist, es aufzumachen.«
»Kannst du mal …« Sie hielt ihm den Jungen entgegen. Unbeschwert wechselte John junior vom Arm der Mutter zu John senior.
»Komm, mein Junge, wir wollen uns das Buch mit den vielen Bildern anschauen.« In dem sicheren Gespür, dass seine Tochter lieber allein war, wollte John die Küche verlassen.
Sie hatte bereits das Fleischmesser genommen, um die Papierhülle zu öffnen, da bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass ihr Vater über die Türschwelle stolperte. Sein Versuch, dem Sturz noch auszuweichen und das Kind zu schützen, scheiterte, der alte Mann drohte der Länge nach hinzufallen. Das Baby rutschte ihm aus dem Arm und wurde weitergeschleudert. Im nächsten Moment musste es auf dem Boden aufprallen.
Auch wenn das Kommende im Bruchteil einer Sekunde geschah, kam Samantha ihr Eingreifen ganz natürlich vor. Um die Hände freizukriegen, ließ sie Messer und Päckchen fallen. Schneller als es ein menschliches Auge wahrgenommen hätte, sprang sie aus der Küche und fing ihr Kind im freien Fall auf.
Klein John landete kopfüber, aber unbeschadet im Arm seiner Mutter und freute sich krähend über das Flugkunststück. Fast im gleichen Augenblick ging Sam in die Hocke und fing mit ihrer freien Hand den stürzenden Vater auf, so locker, als wäre der kräftige Mann leicht wie eine Feder. Das Kind im einen Arm, den Vater im anderen, kam Sam hoch und stellte John wieder auf die eigenen Füße.
»Hoppla«, sagte sie und wurde sich jetzt erst bewusst, was sie getan hatte.
Während ihr Ziehvater sich von dem Schreck erholte, blickte er Samatha ernst an. »Eine Erklärung für das, was mit dir geschehen ist, gibt es wohl nicht«, sagte er leise. »Das Einzige, was du tun kannst, ist, mit deiner neuen Gabe verantwortungsvoll umzugehen. Dann wird sich das Weitere finden.«
»Das Weitere – was meinst du, Papa?«
Er zog seine Jacke gerade. »Wie es aussieht, bist du wirklich zu etwas Besonderem auserkoren, mein Kind. Darum lebe nun auch danach.«
»Das will ich, Papa.« Sie fühlte sich in diesem Moment wieder wie ein kleines Mädchen.
John strich
Weitere Kostenlose Bücher