Blutherz - Wallner, M: Blutherz
ihr zärtlich über die Wange, nahm den Jungen zum zweiten Mal auf den Arm und ging ins Kinderzimmer.
Nachdenklich und mit weichen Knien kehrte Sam zu dem Päckchen zurück und zerschnitt die Verpackung. Im Inneren befand sich eine Schatulle. Bevor sie den Mut hatte, sie zu öffnen, hörte Sam die Stimme ihres Vaters von nebenan.
»Das ist das Schaf Jolantha«, las er Little John vor. »Das Schaf Jolantha frisst den ganzen Tag Gras.«
»Äääkh«, machte das Kind.
Samanthas Hände waren mit einem Mal nass von Schweiß.
Sie hob den Deckel. In der Schatulle lag ein Flakon, es sah aus, als wäre es Parfum. Aber der Inhalt des Fläschchens war blutrot. Zögernd hob Sam es heraus.
»Das ist Hubert, der Wolf«, sagte John im Kinderzimmer. »Er frisst nur Fleisch. Und sein größter Wunsch ist: Er will das Schaf Jolantha fressen. Schau nur, was er für große Zähne hat.«
Sam war zumute, als ob eine Hand ihr Herz packte und es langsam zusammendrückte.
----- Du-bist-Das-Neue-Leben ----- Fortrius Stimme war rund um sie und war zugleich in ihr selbst. ----- Vergiss-nicht-zu-wemdu-gehörst ------- flüsterte es von allen Seiten.
Tränen der Verwirrung traten in ihre Augen. »Wer bin ich?«, flüsterte sie. »Wohin führt mich mein Weg?«
»Das Schaf Jolantha ist aber schlauer als der Wolf Hubert«, sagte John. »Nur so ist es möglich, dass ein kleines und schwaches Wesen einem großen, brutalen widerstehen kann.«
»Ääkkhh«, machte Little John in seinem Zimmer, umgeben von zahllosen Sonnen.
In der Küche betrachtete Samantha das Fläschchen genauer. Auf dem Deckel befand sich eine verschlungene Schrift, doch das Wort war deutlich zu lesen. Es lautete: Barhyaghtar.
Es klingelte an der Tür. Sie drehte sich um. Bis jetzt kannten nur zwei Leute diese Adresse. Mit beiden war Sam auf schicksalhafte Weise verbunden. Trotz der tiefen Angst, die das Geschenk Fortrius in ihr hervorrief, fiel ihr ein alter Vers ein, den sie als Mädchen in der Schule gelernt hatte: Wie glücklich könnt ich mit einem sein, ließ mich der andere Jüngling allein. Welcher von beiden kam sie besuchen? War es Taddeusz, der gefährliche Verführer, der immer noch ihre Träume beherrschte? Oder war es sein Bruder, der schlaksige Richard, der für Sam das Äußerste getan hatte, was ein
Vampir aus Liebe vollbringen konnte? Über wessen Besuch würde sie sich mehr freuen? In bangem Vorgefühl öffnete Sam die Tür. Draußen stand ein großer junger Mann. Sie lächelte, nahm seine kalte Hand und zog ihn in die Wohnung.
»Ich kann absolut nichts sehen«, sagte der junge Vampir und nahm die beschlagene Brille ab.
»Komm ins Warme«, sagte Samantha. »Wir sind gerade mit dem Essen fertig.« Sie führte ihn in die Küche, hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss.
Was Sam nicht bemerkte, war das schwarze Tier, das vor dem Fenster des Kinderzimmers seine Schwingen ausbreitete. Aus funkelnden Augen betrachtete die Fledermaus den kleinen Jungen.
»Ääkh«, machte John junior und hob lächelnd den Blick zum Fenster.
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