Bluthochzeit in Prag
Tschernowskij.
»Ich weiß es nicht.«
Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Frau Plachová wieder hereinkam. Aber sie hatte sich gründlich verändert. Sie hatte ihr Kleid und den Unterrock ausgezogen und stand nun in knielangen Hosen und einer Art Leibchen da, ein bejammernswerter Anblick, eine alte Frau aus Haut und Knochen, aber mit flammendem Blick und einer hoheitsvollen Haltung. Auch ihren Schirm hatte sie mitgebracht und stützte sich nun darauf.
Tschernowskij fuhr aus dem Sessel. »Was soll das?« brüllte er.
»Ich möchte verhaftet werden«, sagte Frau Plachová. »Ich will so, wie ich hier stehe, durch die Straßen von Prag geführt werden. Alle sollen sehen, wie die Russen eine alte Frau mißhandeln. Es wird mich niemand zwingen können, mich wieder anzuziehen … eher ziehe ich noch mehr aus! Übersetze ihm das, du schwarze Hure!«
»Bloß das nicht!« Tschernowskij gab es auf, weiter mit Frau Plachová zu verhandeln. »Ich komme auch anders zum Ziel.«
Er schob Frau Plachová zur Seite, ging hinüber in die Zimmer Pilnys und begann, alle Schränke und Schubladen zu durchwühlen.
»Sie werden nichts finden. Es gibt keine Notizen.« Valentina lehnte sich an die Wand. »Nur ich könnte Ihnen eine Adresse sagen. Aber eher lasse ich mich in Stücke zerreißen –«
»Ich werde nie ein so vollkommenes Bild von Schönheit zerstören.« Tschernowskij erhob sich und riß Valentina an den Haaren zu sich heran. Ihre schwarzen Augen leuchteten wie angestrahlt. »Das hier war ein letzter Versuch in Güte, Valentina Konstantinowna. Ab morgen läuft es anders. Ich habe vier Studenten aus der Gruppe Luceks verhaften lassen. Die Fotos von den Demonstrationen am Funkhaus halfen uns dabei. Diese vier Jungen werden singen wie die Vögelchen in einem goldenen Bauer.«
»Nie werden sie das. Nie!«
»Man soll sich nie so sicher sein, mein Schwan.« Tschernowskij ließ sie los und atmete tief auf. »Ich habe Kyrill Lukanowitsch Duloban mitgebracht.«
Valentinas Gesicht wurde plötzlich bleich. »Den Mongolen?« sagte sie tonlos.
»Den Mongolen, mein Liebchen.« Tschernowskij war bester Laune. Der Name Duloban bedeutete einen Qualitätsbegriff. Selbst die abgehärtesten Kerle des KGB unterdrückten ein Frösteln, wenn es hieß: Duloban verhört gerade. Unten, im Keller 7. Zwischen schalldichten Wänden. Meistens wurden die Verhörten nachher hinaufgetragen … aus eigener Kraft konnten sie nicht mehr gehen.
Tschernowskij verließ das Schlafzimmer Pilnys und ging an Frau Plachová vorbei, die noch immer halb ausgekleidet im Flur wartete.
»Was ist nun?« schrie sie. »Wann führt ihr mich ab?«
»Sagen Sie der Alten, sie soll sich anziehen.« Tschernowskij klinkte die Tür zum Hausflur auf. »Sie wird einmal bestimmt in den Himmel kommen … denn bei ihrem Erscheinen werden die Teufel aus der Hölle flüchten.«
Frau Plachová blieb in ihrer Protestkleidung, bis sie vom Fenster aus den Wagen des sowjetischen Obersten abfahren sah. Erst dann zog sie sich wieder an und rannte in die Küche, um einen kräftigen Schluck Kognak zu nehmen.
So fand sie die Nachricht, die Valentina hinterlassen hatte. Es war ein Zeitungsfetzen, in aller Eile abgerissen und mit ein paar Worten eng beschrieben. Als Tschernowskij ankündigte, man würde jetzt zu Pilnys Wohnung fahren, hatte Valentina keine Zeit mehr gehabt, ein Stück Papier zu suchen. Mit dem Augenbrauenstift hatte sie auf den Zeitungsrand geschrieben und ihn dann abgerissen.
»Wenn Sie Lucek sehen, sagen Sie ihm, daß ich lebe und ihn liebe und immer lieben werde. Ich habe ihn nicht verraten, eher würde ich sterben. Bitte, glauben Sie mir –«
Frau Plachová las die Zeilen, während sie ihren Kognak trank, dann faltete sie das Papier zusammen und schob es in ihre Tasche.
Am Abend machte sie sich auf, Freunde von Michael Lucek zu suchen. Sie ließ sich zum Wenzelsplatz fahren und fragte die Studenten, die vor dem improvisierten Totenmal unter dem Denkmal Ehrenwache hielten.
»Wo ist Lucek? Seht mich nicht wie die Affen an! Ich habe eine Nachricht für ihn. Von seinem Mädchen … dieser Miroslava …«
Man schob Frau Plachová in einen Wagen, verband ihr die Augen, so laut sie auch protestierte, und nahm ihr die Binde erst wieder in einem Hinterhof ab, vor einer Treppe, die in einen Keller führte.
So kam Mutter Bozena in den geheimen Druckereikeller, legte den beschriebenen Zeitungsfetzen vor und berichtete vom Besuch des sowjetischen Obersten.
»Was wißt ihr
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