Bluthochzeit in Prag
Plastikflaschen mit Blutersatz, drei Flaschen mit konzentriertem Traubenzucker- und Vitaminlösungen, dazu die nötigen Kanülen und Tropfregler, Mittel gegen Kreislaufversagen, eine Menge blutstillender Watte, in einem Chromkästchen Aderklemmen, Pinzetten, Scheren, Nähmaterial aus Seide und Catgut, Nadeln … ein Schatz für den, der damit umzugehen weiß.
Pilny schleppte die Kiste in die Höhle Luceks und zog dann – nach der Gebrauchsanweisung, die beigelegt war – eine Spritze mit einem herzstärkenden Mittel auf. Er stieß die Nadel in Luceks Oberschenkel und hatte das Glück, kein Gefäß zu treffen. Nach der Injektion überlegte Pilny, ob er den Verband wieder abwickeln und die Operationswunde mit den nun vorhandenen Mitteln noch einmal versorgen sollte. Er besaß nun Nahtmaterial, Wundklammern und blutstillende Verbandskissen, aber dann entschied er sich, nichts mehr zu tun. Durch den Gazedrain tropfte eine gelbliche Flüssigkeit aus Luceks Wunde … er legte neue Zellstofflagen darunter und wunderte sich, was ein Mensch alles aushalten kann.
Auf dem Gaskocher bereitete er sich einen starken Kaffee, füllte ihn in die Thermosflasche und machte sich dann auf den Weg, die anderen Fallschirme zu suchen. Jetzt, am hellen Tag, war das keine Schwierigkeit. Im Umkreis des Windbruches zählte er noch vier Fallschirme, die alle oben in den himmelhohen Kronen hingen.
Bis zum Mittag arbeitete Pilny in den riesigen Bäumen. Er kappte die Seile, an denen noch zwei Kisten und zwei Säcke hingen, zog dann die Fallschirme aus dem Geäst, denn wenn sowjetische Flugzeuge dieses Gebiet überfliegen würden und die weißen Flecke in den Bäumen entdeckten, löste das eine Suchaktion aus, bei der man auch das unwegsame Gebiet der Schluchten und Höhlen durchkämmen würde.
Siebenmal legte Pilny den Weg vom Windbruch zu den Höhlen zurück, schleppte die Kisten und Säcke in Sicherheit und holte als letztes die Fallschirme weg.
In den Säcken war Verpflegung, Büchsen mit Fleisch, Brot, Wurst, Pakete mit Suppen und Kartoffelbrei, Schokolade und sogar Gewürze, Dosen mit Fruchtsaft und Bier. Die Kisten enthielten Decken und warme Jacken, Pullover und dicke Schuhe … und drei zerlegbare Maschinenpistolen mit genügend Munition.
Pilny fuhr herum, als er hinter sich ein schabendes Geräusch hörte. Er hatte gerade eine Maschinenpistole zusammengesetzt und geladen und riß sie nun hoch, während er im Sitzen herumwirbelte.
Im Höhleneingang erschien Lucek. Er schob sich auf den Knien vorwärts, beide Hände gegen die Brust gedrückt. Pilny ließ die Waffe fallen und sprang mit ein paar Schritten zu ihm.
»Bist du verrückt, Micha?« schrie er. »Du legst dich sofort wieder hin –«
Lucek lehnte den Kopf an die Felswand und starrte auf die Kisten und Säcke. Sein Mund zitterte, er mußte furchtbare Schmerzen haben, aber er tat so, als spüre er nichts.
»War der Nikolaus hier?« fragte er. Seine Blicke wanderten über die vom Himmel gefallenen Schätze. »Als ich aufwache, steht neben mir in einer Kiste ein kompletter Operationssaal.«
»Das hast du auch schon gesehen?«
»Ich höre dich draußen seit einer Stunde rumoren. Ich wollte zu dir … aber weiter als bis auf die Knie komme ich nicht …« Lucek lächelte verzerrt. »Vielleicht morgen, Karel.«
»Du legst dich sofort wieder hin!«
»In die Sonne … laß mich in der Sonne liegen, Karel.«
Pilny biß die Zähne aufeinander. Er bereitete Lucek aus den neuen Decken und den aufblasbaren Kissen ein Lager auf einer Lichtung unter den dichten Baumkronen. Dann deckte er Lucek zu und betrachtete das eingefallene, bartstoppelige, fast blutleere Gesicht.
»Ich geb dir noch eine schmerzstillende Spritze«, sagte er. »Wie fühlst du dich?«
»Gut. Die Sonne ist herrlich. Was hast du von draußen gehört?«
»Generalstreik, passiver Widerstand im ganzen Land, Dubcek und Smrkovsky sind mit Svoboda in Moskau. Man diktiert ihnen, was sie tun sollen. Aber sie leben … das ist das wichtigste! Die Sowjets glaubten, sie hätten das Feuer der Freiheit niedergetreten … aber die Funken glimmen weiter! Mit dem 20. August haben die Sowjets genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollten: Sie werden jetzt von 14 Millionen gehaßt.«
Lucek blickte in den sonnenhellen blauen Himmel. Ein gezacktes Loch in dem grünen Urwalddach.
»Und Miroslava … hast du etwas von ihr erfahren …?«
»Nichts, Micha.«
»Wo ist Irena?«
»Ich weiß es nicht.« Pilny setzte sich neben
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