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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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genannt, aber er hat mir Urlaub gegeben. Ich lasse mich alles nennen, wenn es für dich ist. Wir könnten nach Pilsen fahren …«
    »Es geht nicht, Leutnant Muratow.« Irena drehte sich um. Sie erschrak als sie sein Gesicht sah … es war voller Qual und fast kindlicher Angst.
    »Weil … weil ich ein Russe bin?« sagte Muratow langsam.
    »Nein. Um Gottes willen, nicht deshalb!«
    »Warum lügst du?«
    »Ich lüge nicht.«
    »Doch, du lügst.« Muratow wandte sich ab, nahm die kleine Handikone vom Nachttisch und drehte sie zwischen seinen Fingern. Es war, als streichle er das abgewetzte und abgeküßte Bild, als suche er Schutz bei ihm, als fragte er damit seine Mutter, was er nun tun sollte, und wie es richtig sei, sich zu benehmen. »Ich hatte viele Stunden Zeit, Irena, und ich habe nachgedacht. Das Herz hat es mir zerrissen, ich bin herumgelaufen wie mit einer offenen Wunde. Ich schäme mich, daß ich hier in diesem Lande bin. Irena … ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Du bist für mich die einzige Wahrheit, Irena. Warum können wir nicht nach Pilsen fahren, in ein Kino gehen, tanzen, Wein trinken, glücklich sein …«
    »Ich werde nachher abgeholt«, sagte Irena stockend. Es muß sein, dachte sie. Er muß jetzt begreifen, daß es keinen Weg zueinander gibt. Man könnte es anders sagen, brutaler, ihm ins Gesicht schreien: Geh! Ich kann dich nicht lieben und werde dich nie lieben. Das würde er sofort begreifen, aber es würde auch seine Seele zerstören. Er war jetzt an der Grenze seiner Auffassungsgabe angelangt. Er übte Kritik an sich selbst, Kritik an seinen Vorgesetzten, Kritik an seinem Staat, Kritik an seiner Weltanschauung. Er stand vor den Trümmern seines jungen Lebens und suchte einen neuen Halt, weil nichts um ihn herum stark genug mehr war, die in der Kritik gestorbene alte Welt durch eine neue zu ersetzen. Nur diese Liebe war da, seine jungenhafte, reine Liebe, seine Bewunderung, seine Sehnsucht, das Glück, in Irenas Nähe zu sein und hoffen zu können. Er war wie ein Klumpen Ton, aus dem man ein neues Gebilde formen konnte.
    »Abgeholt?« fragte Muratow unsicher. »Von wem denn?«
    »Von meinem Vetter. Er bringt mich zurück zu meiner Tante.«
    »Nach Leipzig?«
    »Nein. Nach … nach Karlsbad.«
    »Das ist nicht weit.« Muratow sprang vom Bett und steckte die kleine Ikone in die hintere Hosentasche. »Ich fahre mit. Ich habe bis zum nächsten Morgen Urlaub. Ich will deine Tante kennenlernen.«
    Irena starrte Muratow an. Das Ungeheuerliche ihrer Situation wurde ihr jetzt völlig klar. Was sie auch sagen oder tun würde … Muratow würde bei ihr bleiben, wich nicht von ihrer Seite, begleitete sie überallhin.
    Und um 23 Uhr wartete der Wagen hinter der Schule. Der Wagen, der sie zurück zu Karel Pilny in die böhmischen Urwälder bringen sollte.
    »Ich bitte Sie, Muratow«, sagte Irena heiser vor innerer Erregung, »gehen Sie in Ihr Lager zurück.«
    »Nein, ich bleibe bei dir, Irena.«
    Irena senkte den Kopf. Man kann seinem Schicksal nicht entrinnen, dachte sie. Auch Muratow kann es nicht. Sein Schicksal wird es sein, am Rande der Wälder niedergeschlagen zu werden. Man wird ihn fesseln und knebeln, und nach ein paar Stunden wird man ihn vielleicht finden, ein Häuflein Elend und Scham, das dann zurück nach Rußland fährt, strafversetzt ans Eismeer.
    »Es ist gut«, sagte Irena schwach. »Kommen Sie mit zu meiner Tante …«
    Pünktlich um 23 Uhr bogen Irena und Leutnant Muratow um die Ecke des Schulhauses. Ein geschlossener Wagen mit abgeblendeten Scheinwerfern und laufendem Motor wartete auf dem Schulhof. Doch plötzlich strahlte das Licht grell auf und ergriff die Gestalt Muratows mit gleißender Helle. Er legte schützend den Unterarm über die Augen und sah dadurch nicht, wie zwei Gestalten aus dem Auto sprangen.
    »Ein Russe!« hörte Irena eine erregte Stimme. »Verdammt, – das ist eine Falle!«
    Sie begriff, daß es jetzt um Sekunden ging, daß dort drüben zwei Männer ihre Pistolen aus der Tasche rissen und entsicherten. Sie rannte an Muratow, der stehengeblieben war, vorbei und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn.
    »Nicht schießen!« schrie sie in das blendende Licht hinein. »Nicht schießen!«

XII
    Semjon Alexejewitsch Muratow schien zu begreifen, daß er sich in höchster Lebensgefahr befand, auch wenn er sich gleichzeitig sagte, das sei Dummheit, denn er hatte niemandem etwas getan und war in diesem Land, weil man ihn dazu befohlen und vorher auch noch

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