Bluthochzeit in Prag
belogen hatte. Er hob die Arme hoch und stand im grellen Licht der Scheinwerfer, schloß geblendet die Augen und wartete. Irena winkte verzweifelt mit beiden Armen zu den beiden Männern, die neben dem Auto im Dunkeln blieben, die Waffen schußbereit.
»Was macht der Russe da?« fragte einer von ihnen. Irena ließ die Arme sinken.
»Ich erkläre es euch später. Er kommt mit.«
»Das ist doch der russische Leutnant, der dich hergebracht hat.«
»Ja, das ist er.«
»Bist du verrückt? Soll die ganze Panzerdivision alarmiert werden?«
»Er läßt sich nicht abschütteln. Er hat mich eingeladen nach Pilsen zum Tanzen. Was sollte ich tun? Ich habe ihm erzählt, daß ich zu meiner Tante nach Karlsbad gebracht werde. Nun will er die Tante kennenlernen.«
»Das wird er!« Die beiden jungen Männer neben dem Auto lachten kurz auf. »Er wird in Zukunft Verwandtenbesuche hassen.«
Die Scheinwerfer erloschen. Muratow öffnete die Augen, aber er behielt die Arme gestreckt über dem Kopf. »Was wollen sie von uns?« fragte er Irena. »Was habe ich ihnen getan? Sind deine Vettern immer so wild?«
»Es war ein Mißverständnis, Muratow.« Irenas Atem flog. »Komm –«, sagte sie und faßte Muratow am Ärmel seiner Jacke. »Alle sind jetzt nervös, wenn sie einen Russen sehen –«
Sie traten an den Wagen, wo die beiden jungen Männer standen, noch immer die Pistolen in den Händen. Muratow lächelte schief und nickte mit dem Kopf. Auf deutsch sagte er: »Wir sind doch Brüder«, dann stieg er ein und starrte auf den Wagenboden. Irena wollte sich neben ihn auf den Rücksitz setzen, aber einer der jungen Männer, die Irena nur einmal gesehen hatte, als sie mit dem Parteisekretär einen Besuch an ihrem Krankenbett machten, winkte ihr, auszusteigen.
»Nach vorne –«, sagte er rauh. »Ich setze mich neben den Russen.«
»Ihr rührt ihn nicht an!« rief sie und ballte die Fäuste. In den Augen der Männer erkannte sie die wilde Entschlossenheit, Muratow bei der nächsten guten Gelegenheit zu beseitigen. »Ihr habt gehört: Er ist euer Bruder.«
»Das sagen sie alle, und nachher ziehen sie uns das Fell über die Ohren. Wir kennen das, Genossin.« Der Fahrer, der schon hinter dem Steuer saß, zog Irena neben sich auf den Sitz. »Wir haben auf der Fahrt Zeit genug, uns mit ihm zu unterhalten. Es war ein Fehler, ihn mitzubringen.«
»Ich hatte keine andere Wahl«, sagte Irena verzweifelt. »Aber er ist ein guter Junge. Und er zweifelt jetzt an allem, was ihm seine politischen Kommissare erzählt haben.«
»Auch ein alter Trick. Na ja, wir werden sehen …«
Die Türen klappten zu, der Motor heulte auf, und dann schoß der Wagen hinter dem Schulhaus hervor und fuhr durch das schlafende Vltavice, den böhmischen Wäldern entgegen.
Muratow starrte aus dem Fenster auf die vorbeifliegende, nachtfahle Landschaft. Er erkannte die Gegend sofort wieder … es war die Straße, die er schon viermal gefahren war, die zu den Lagern seines Regimentes führte, die Straße, die später am Grenzstreifen endete, am Todesstreifen, den Stacheldrahtlinien und den hohen, hölzernen Wachttürmen, auf denen jetzt keine tschechischen Soldaten mehr standen, sondern schwerbewaffnete, junge Rotarmisten, denen man eingeschärft hatte: Dort drüben lebt der Feind aller Klassen! Dort warten Revanchisten! Dort lauert der Tod des Sozialismus. Die Unruhe in der Welt, sie kommt von dort drüben!
Muratow schielte zu dem jungen Mann neben sich. Der hatte die Pistole auf den Schoß gelegt und beobachtete den Russen. Sie fuhren nun schon eine Stunde durch die Nacht, wortlos, eingehüllt in eine gefährliche Stille. Nur der Motor sang leise. Ein paarmal wollte Muratow etwas sagen: »Das ist ja der falsche Weg, er führt zur Grenze«, oder: »Wollen Sie mich etwa zu meiner Truppe zurückbringen, Genossen?« Aber dann schwieg er doch. Sie werden mir keine Antwort geben, dachte er. Sie betrachten mich als ihren Feind, und dabei will ich ihr Freund sein.
Später bogen sie von der Straße ab und fuhren über Feldwege, die Muratow nicht kannte. Auch wurden die Scheinwerfer ausgeschaltet … durch die fahle Dunkelheit dieser Sommernacht tastete sich der Wagen unbeleuchtet weiter und tauchte in dem riesigen Wald unter. Muratow sah den neben ihm sitzenden Tschechen an.
»Ist etwas?« fragte der böse Dreinblickende auf deutsch.
»Hier geht es doch nicht nach Karlsbad«, sagte Muratow heiser.
»Welch ein kluger Mensch.« Der Mann neben Muratow lachte. Auch der
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