Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
den Stein, wickelte das Papier ab und strich es auf der Tischplatte glatt. Noch bevor er den Text las, erkannte er die Handschrift, und sein Herz begann, wie toll zu schlagen.
    Ich bin hier, Andrej Mironowitsch. Ich bewundere Ihren Spürsinn, aber ich bedaure Ihre Aufgabe. Wir haben beide dasselbe Ziel, aber nur ich werde es erreichen. Diese veränderte Situation verlangt von uns ein Umdenken. Solange Ihr Verstand regierte, konnten moralische Werte Sie vielleicht umstimmen. Nun aber, wo Ihr Haß stärker ist als Ihre Vernunft, wo unser Kampf nicht mehr politisch, sondern privat geworden ist, gelten andere Gesetze.
    Ich sage Ihnen, Andrej Mironowitsch: Kehren Sie nach Prag zurück. Lassen Sie Micha Lucek in Frieden leben, und mich mit ihm. Ich warne Sie.
    Fahren Sie zurück nach Prag, Andrej Mironowitsch. Bei Gott: Ich töte Sie!
    Tschernowskij legte den Brief zurück und setzte sich.
    Sie kann es, dachte er. Und sie wird es versuchen. Was immer ich jetzt auch tue … der Tod wird mir über die Schulter blicken. Ein Tod mit langen schwarzen Haaren und glühenden, herrlichen Augen. Ein Tod, so schön wie die Sünde, die Tochter des Satans.
    Ein merkwürdiges, kaltes Gefühl durchrann ihn von den Zehen bis zu den Haarwurzeln. Aber stärker noch als diese Kälte tief verborgener Angst war ein wildes, unheimliches Gefühl des Glückes:
    Sie ist hier! Valentina Kysaskaja ist hier. Vor fünf Minuten stand sie draußen auf der Straße vor dem Fenster und warf den umwickelten Stein ins Zimmer. Sie hat mich sitzen sehen im begrenzten Schein der Autowarnlampe, die ich aus dem Kofferraum geholt habe, um nicht in völliger Finsternis zu hocken. Ich bin ein romantischer Affe, Valentina Konstantinowna, ich kann es nicht ändern. Du bedrohst mich mit dem Tode, und ich bin glücklich, wieder die gleiche Luft atmen zu können wie du.
    Er rannte zum Fenster, riß es auf und beugte sich hinaus. Leer lag die Straße da, als sei der Ort verlassen. In allen Häusern brannte Licht, nur das Bürgermeisterhaus träumte in völliger Dunkelheit. Es mußte sich um eine merkwürdige Stromleitung handeln, die da gestört war.
    Tschernowskij blieb am Fenster stehen, hochaufgerichtet, schlank, von unnachahmlicher Eleganz in seiner maßgeschneiderten Uniform mit den vier Reihen Ordensspangen. Der Abendwind zerzauste seine grauen Haare und wehte eine Strähne über seine hohe Stirn. Jetzt sah er aus wie Napoleon, aber glücklicher, als es der kleine Korse jemals gewesen war.
    Valentina beobachtete ihn aus einem dunklen Hauseingang gegenüber dem Bürgermeisterhaus. Sie trug ihren schwarzen Trainingsanzug und war auf dem Weg, Lucek zu suchen.
    Drei Stunden später tauchte sie unter in die böhmischen Wälder. Ein Bauer brachte sie mit seinem wackeligen Karren bis nahe an die Lager der sowjetischen Panzertruppen. Als sie am Waldrand im hohen Farn verschwand, löste sie sich auf in schwarze Luft.
    Zwischen den Bäumen flackerten die Lagerfeuer der Russen. Radiomusik schallte durch die Nacht. Irgendwo, abseits von den Zelten, sang ein Soldatenchor. Er saß in einem Halbkreis auf einer Lichtung, neunundsechzig singende Männer.
    Trabe, Pferdchen, laufe, Rößlein ,
es geht heim zu der Geliebten,
lange wartet sie auf mich –
    An dem Chor vorbei, wie ein schwarzer Lufthauch, glitt Valentina Kysaskaja tiefer in den Wald …

XIII
    Tschernowskij bekam keine Ruhe. Er wurde zum Kommandeur des Panzerbataillons südwestlich Horni Vltavice gerufen. Major Peljanow empfing den großen Mann aus Moskau mit der Zerknirschung eines Hundes, der einen Pantoffel mit einem Knochen verwechselt hat.
    »Ich habe Sie zu mir gebeten, Genosse Oberst«, sagte er, als Tschernowskij, finster blickend und umweht vom schrecklichen Eishauch Moskauer Gefängnisse, in das große Kommandeurszelt trat, »weil ich vor einem Rätsel stehe.«
    »In diesem Land werden viele Rätsel geboren«, antwortete Tschernowskij mit dunkler Philosophie. Peljanow nickte eifrig –
    »Sie sagen es, Genosse. Es geschehen Dinge, die anderswo unmöglich sind. Ich weiß, daß es nicht Ihr Ressort ist, Oberst, daß Sie den Kopf voll haben mit den konterrevolutionären Gruppen im Land, daß ich eigentlich dem Armeekommando Meldung machen müßte … aber ich dachte mir: Ist schon einmal ein großer Mann aus dem KGB in der Gegend, dann sollte man ihn um Rat fragen.«
    »Worum handelt es sich?« fragte Tschernowskij knapp. »Sabotagefälle?«
    »Das wäre einfach, Genosse. Nein –« Major Peljanow scheute sich

Weitere Kostenlose Bücher