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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nachtwind, ein hartes Lager, aber wer spürt das, wenn die Müdigkeit wie ein Eisenklotz im Gehirn liegt?
    Valentina schlief ein, kaum, daß sie ausgestreckt lag, und sie erwachte, weil es über ihr rauschte. Es war Tag, ein starker Wind riß an den domhohen Baumkronen und spielte Orgel in den Zweigen. Gegen Morgen mußte es auch geregnet haben, bis der Wind die Wolken wegtrieb. Valentinas Trainingsanzug war durchnäßt, und sie hatte es im Schlaf nicht gemerkt.
    Nun tat sie etwas sehr Vernünftiges: Sie zog sich aus und hängte die nassen Kleider in den Wind. In herrlicher Nacktheit lief sie auf und ab, um Wärme in ihren Körper zu treiben … dann stand sie, als sie zu schwitzen begann, am Felsen, ließ die langen schwarzen Haare im Wind wie eine Fahne wehen und dachte an Micha Lucek, der irgendwo in dieser Wildnis wie ein Hund lebte.
    Eine Stunde später war sie wieder unterwegs. Sie arbeitete sich ohne Plan durch den Wald. Die Richtung hatte sie längst verloren. Was nutzten die besten Karten der ›Civilni obrana‹, wenn die Natur anders aussah?
    Der böhmische Urwald schwieg. Der Morgenwind hatte nachgelassen, die Sonne stand hoch am blauen Himmel, aber hier unten zwischen den Schluchten war es kühl und modrig.
    Valentina kletterte weiter. Sie erreichte, getrieben von einem rätselhaften Instinkt, den großen Windbruch und brach wie ein Hirsch, der Wasser sucht, aus dem halbdunklen Wald in die freie Sonne, breitete die Arme weit aus und schloß die Augen.
    Wärme! Licht! Freiheit! Ein Himmel!
    Sie warf sich auf den Rücken und blieb so eine Weile liegen, sich badend in dieser gleißenden Helle. Doch während sie lag, überfielen sie Zweifel, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Wurde der Wald jetzt wieder lichter, war sie an Lucek und Pilny vorbeigelaufen? Zwar türmten sich hinter dem Windbruch zerklüftete Felsen auf und sie ahnte neue urweltliche Schluchten, aber alles kam ihr merkwürdig gelockerter vor, nicht mehr so beklemmend wie die Wildnis, die sie durchklettert hatte.
    Noch ein paar hundert Meter werde ich in diese Richtung gehen, dachte sie. Dann kehre ich um und versuche es seitlich von hier. Und wenn ich tagelang in diesem Wald herumirre … einmal finde ich den Platz, an dem sich Pilny verbirgt. Es wäre so einfach, wenn man sich bemerkbar machen könnte … rufen oder schießen oder mit einem Feuerschein in der Nacht. Aber das würde nur die sowjetischen Truppen anlocken.
    Sie sprang auf, klopfte das Laub von ihrem schwarzen Trainingsanzug, band die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und benutzte dafür eine einfache Kordel, hängte die Segeltuchtasche über die Schulter und lief weiter.
    Der Instinkt oder das Schicksal – man kann es sich aussuchen – führte sie geraden Weges an den Hügel, auf dem dünn, nicht sichtbar gegen den blauen Himmel, die Antenne von Pilnys Sender über die Baumwipfel ragte; sie kam an die Schlucht, an den Sumpf, in dem der sowjetische Gefreite Tumjaschow erstickt war, und sie erreichte das Felsenlabyrinth mit seinen Höhlen und bizarren Steinformen.
    Welch eine Welt, dachte Valentina Kysaskaja. Aus dem Bilderbuch der Eiszeit könnte sie stammen. Hier lebt kein Mensch.
    Noch zweihundert oder dreihundert Meter – und ich kehre um …
    *
    Semjon Alexejewitsch Muratow hatte sich von seinem Niederschlag erholt und fügte sich in sein Schicksal. Pilny hatte ihn mit Stricken gefesselt und in eine der Höhlen geschleppt. Lucek, der neben den Funkapparaturen auf seiner Decke lag, begrüßte Irena mit einem schwachen Winken und schüttelte dann den Kopf.
    »Du bist als Jäger unbrauchbar«, sagte er zu Pilny und versuchte ein Lächeln. »Wenn die anderen Hasen fangen, bringst du nur Russen an. Wo ist denn der nun wieder her?«
    »Ich habe ihn mitgebracht.« Irena gab Lucek einen Kuß auf die Stirn. »Wie fühlst du dich, Micha?«
    »Besser. Karel ist ein guter Chirurg.«
    »Ich werde in meinem ganzen Leben kein Skalpell mehr anrühren«, sagte Pilny und schob Muratow in die Höhle. »Was machen wir nun mit dem Russen?«
    »Abwarten.« Lucek richtete sich auf. Er fühlte sich tatsächlich besser. Nachdem Pilny durch die Operation den Erguß zum Abfließen gebracht hatte, ließ auch das Fieber etwas nach, es atmete sich freier, wenn auch jeder Atemzug ein schreckliches Stechen in die Lungen jagte. Auch die Eiterung und die Entzündung an den Wundrändern gingen zurück. Jetzt endlich wirkten die Injektionen von Antibiotika, dafür aber flachte der Kreislauf ab.

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