Bluthochzeit in Prag
vor der Abreise von Fräulein Dolgan.
»Was sage ich Ihnen«, triumphierte Tschernowskij nach einem zweistündigen Verhör, bei dem über zwanzig Männer befragt wurden, die rund um das Pfarrhaus wohnten. »Keiner hat etwas gesehen – aber wir wissen jetzt alles. Ihr Muratow ist mit dem blonden Engelchen desertiert.«
»Das ist eine Blamage, Genosse Oberst.« Major Peljanow saß bleich Tschernowskij gegenüber. »Ich führe das beste Bataillon in der Division. Ich sollte nach dieser Aktion zum Oberstleutnant befördert werden und ein Panzerregiment übernehmen.«
»Das wird ein Traum bleiben.« Tschernowskij machte sich ein paar Notizen in seine Handakte. »Aber ein Gutes hat die Flucht Ihres verliebten Muratow doch – jetzt wissen wir mit Sicherheit, daß Pilny und seine Gruppe hier in der Nähe sind.«
Tschernowskij erhob sich. Wie ein Feldherr vor einer großen entscheidenden Schlacht stand er vor dem wie zusammengeschrumpft wirkenden Major. »Ich werde aus Moskau die Vollmacht holen, in diesem Gebiet hier zu handeln wie im Kriegsfall. Rücksichtslos, mit aller Härte, unter Ausschaltung aller tschechischen Zuständigkeiten. Ich will doch sehen, ob wir nicht auch den Urwald besiegen, wenn ich frei in der Wahl meiner Methoden bin!«
»Ich wünsche Ihnen Glück, Genosse Oberst.« Major Peljanow steckte sich mit bebenden Fingern eine Papyrossa an.
*
Tschernowskij hatte Glück … das erste Mal, seit er in Prag war. Über eine Dienstleitung der Armee rief er General Ignorow in Moskau an, und der magenkranke Zwerg, wie ihn Andrej Mironowitsch nannte, hatte eine gute Stunde und sagte Tschernowskij in diesem gezielten Falle jede Unterstützung des mächtigen Rußlands zu.
Drei Stunden später traf das erwartete lange Telegramm aus Moskau ein. Zwei Mitglieder des Ministerrates hatten es unterschrieben. Es war der offizielle Befehl, mit aller Schärfe gegen die Demoralisierung der Truppe vorzugehen. Tschernowskij erhielt Vollmachten, an die er nie geglaubt hatte. Er war zum mächtigsten und geheimnisvollsten Mann in der Tschechoslowakei geworden. Selbst der Oberbefehlshaber der Armeen, General Pawlowskij, besaß keine Weisungsbefugnis mehr über das, was Tschernowskij unternehmen würde. Die Stimme, der Arm, der Wille Moskaus … das war jetzt er!
Zuerst merkten das der Bürgermeister und der Parteisekretär der KP von Horni Vltavice. Dann krochen auch die tschechischen Polizeidienststellen in Pilsen in sich zusammen. Tschernowskij ließ alle wissen:
»Ab sofort untersteht die Kontrolle aller Einrichtungen einer Sonderabteilung meines Stabes. Das Gebiet von Horni bis zur Grenze, vom Berg Blatny bis zum Berg Plechy am Dreiländereck CSSR – Westdeutschland - Österreich erkläre ich zum Kriegsgebiet. Den Befehl über diese Landstriche übernimmt die Rote Armee. Einzelheiten werden noch bekanntgegeben.«
»Da haben wir es!« sagte der Parteisekretär im Versammlungssaal von Vltavice zu den anwesenden Bürgern der kleinen Stadt. »Ich habe es geahnt, Freunde. Seien wir besonders freundlich zu unseren sowjetischen Brüdern … wer einen Panzer sieht, einen Lastwagen, eine Gruppe Soldaten … begrüßt sie mit Herzlichkeit, schmückt sie mit Blumen, klettert auf die Fahrzeuge und umarmt die Brüderchen … nur haltet sie auf, wo ihr könnt! Und außerdem will ich in einer Stunde nicht einen einzigen Wegweiser mehr in unserem Gebiet sehen! An die Arbeit, Genossen!«
So kam es, daß bereits kurz darauf eine Kolonne des II. Bataillons hilflos an einer Kreuzung stand und nicht wußte, wohin nun der Weg nach Stozek führte. Drei Mädchen, die man fragte, umarmten die Rotarmisten, banden ihnen Blumen um die Lederhelme und liefen lachend davon.
»Das spielt alles keine Rolle«, sagte Tschernowskij, als Peljanow per Funk die beginnende Verwirrung meldete. »Es geht um Pilny und Lucek! In einer großen Falle sitzen sie jetzt, und irgendwann einmal werden sie ans Gitter kommen und quieken wie die hungrigen Ratten. Darauf können wir warten … wir haben ja Zeit, so viel Zeit, Genossen –«
*
Aber nicht nur Tschernowskij hatte Glück … auch Valentina Kysaskaja eroberte es.
Die ganze Nacht über irrte sie durch die Wildnis, bis ihre Beine versagten. Mühsam schleppte sie sich weiter, bis es unmöglich war, noch einen einzigen Schritt zu tun, ohne das Gewicht von mehreren Zentnern mitzuschleppen. Da legte sie sich hin, wo sie gerade stand, und es war ein guter Platz. Eine Felsenmulde, trocken und geschützt vor dem
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