Bluthochzeit in Prag
Truppenbewegungen beobachten.«
»Oder man schießt dich in den Hintern!« Frau Plachová sah hilfesuchend zu Irena Dolgan. Aber von dort war nichts zu erwarten. Irena band sich die blonden Haare im Nacken zusammen, ein Zeichen, daß sie gleich an die Arbeit gehen würde.
»Ich fahre mit«, sagte sie dann auch. »Es ist doch selbstverständlich, daß ich bei dieser Sache neben dir bin.«
»Es kann gefährlich werden, Irena –«
»Eben darum. Soll ich hier sitzen und warten und die Hände ringen? Nein. Ich habe keine Angst … Ich glaube, ich habe das in den letzten Wochen genug bewiesen …«
Eine halbe Stunde später fuhren sie ab. Sie nahmen nur einen kleinen Koffer mit … drei Tage, mehr nicht, dachte Pilny. In drei Tagen kann man allerhand entdecken. Drei Tage Indianer spielen im Erzgebirge, von Bergkuppen oder aus Baumwipfeln übers Land blicken – das reicht.
An diesem Vormittag tat Frau Plachová etwas, was sie seit zehn Jahren nicht mehr getan hatte: Sie fuhr zur Kirche der Hl. Jungfrau Maria Schnee, kniete in dem riesigen gotischen Bau vor dem Altar und betete. Ganz tief senkte sie den grauen Kopf, schlang das Kopftuch um das Gesicht und bettelte mit halblauter, zitternder Stimme.
»Ich ahne es, o mein Gott«, sagte sie. »Ich ahne etwas Furchtbares. Mein Herz zuckt wie in Krämpfen. O, Maria … beschütze uns. Meinen Mann hat man mir genommen, meinen Jungen haben sie ermordet … laß mir Karel Pilny … bitte … bitte …«
Sie drückte die Stirn auf die kalten Steinquader und lag da wie ein Haufen Lumpen. Ein Priester, der sie von weitem beobachtet hatte, hob sie auf und führte sie zu einer Bank. Dort hockte sie sich nieder, schlug die Hände vor die Augen und weinte laut. Als man sie immer wieder fragte, warum sie so unglücklich sei und ob man ihr helfen könne, verließ sie schnell die Kirche.
Erst am Abend kam sie nach Hause, erschöpft, tränenlos, ausgeweint.
Sie hatte in neunundzwanzig Kirchen gebetet.
*
An diesem Tage wurde, 1.800 Kilometer entfernt, in Moskau, Andrej Mironowitsch Tschernowskij zu einem glücklichen Menschen.
General Ignorow, dieser gelbhäutige Gnom, rief ihn an.
»Es ist soweit, Genosse«, sagte er leichthin. »Packen Sie die Koffer, bürsten Sie Ihre eleganten Maßanzüge und halten Sie sich bereit. Ab morgen kann stündlich der Befehl kommen, daß Sie nach Prag fliegen.«
Tschernowskij tat einen tiefen Seufzer, den Ignorow mit einem breiten Lächeln begrüßte. »Ich danke Ihnen, Pawel Antonowitsch«, sagte er dann. »Das ist die beste Nachricht seit Stalins Tod.«
»Sie leiden sehr, nicht wahr?« Ignorows Stimme troff vor Sarkasmus. »Was hören Sie von Ihrem schwarzen Vögelchen?«
»Es singt nicht mehr.«
»Vielleicht bekommt es ein anderes Futter?«
»Das wird es sein.« Man hörte, wie Tschernowskij mit den Zähnen knirschte. In den vergangenen Wochen hatte er alles versucht, Valentina aus seinem Herzen und aus seinem Gedächtnis zu streichen. Er hatte eine Liebschaft mit einer tatarischen Sekretärin aus der Abteilung X begonnen, aber nach drei Liebesnächten kam sie ihm fahl vor, wie abgestandene Limonade gegen den Sekt, der in Valentinas Körper perlte. Er besuchte einen der heimlichen Nachtclubs in Moskau, ließ sich mit einer Nackttänzerin ein und war enttäuscht. Ja, er liebte sogar seine Frau Anna Feodorowna wieder, dieses herrliche, schmalhüftige Weibchen, aus deren Hand der Duft grusinischer Rosen stieg, er wurde ein temperamentvoller Ehemann, als habe er die Uhr zurückdrehen können und sei wieder jung, was beweist, wie verzweifelt er war … es nutzte nichts. War die Glut der Selbsttäuschung vorbei, lag er neben den schwer atmenden Frauenkörpern und sah über die Landschaft von Schultern, Brüsten, Leib und Schenkeln, überfiel ihn ein weinerliches Mitleid, und seine Sehnsucht nach Valentina Kysaskaja wurde nur noch heftiger.
»Was werden Sie tun, wenn Sie die Kysaskaja in Prag treffen?« frage Ignorow. Es war ihm ein Vergnügen, in den Wunden Tschernowskijs zu wühlen. Wer wie Ignorow seit über vierzig Jahren mit einer zänkischen und immer häßlicher werdenden Frau verheiratet war, hatte ein Recht, erfolgreiche Liebhaber zu martern.
»Ich weiß es nicht, Genosse«, antwortete Tschernowskij. »Ich werde sie wahrscheinlich verhaften und nach Moskau bringen lassen.« Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß er sie unter der rund eine Million Pragern entdecken würde.
*
In Teplitz-Schönau, der Badestadt im Grünen mit den
Weitere Kostenlose Bücher