Bluthochzeit in Prag
alles macht, wenn Moskau und die Interessen der Partei es verlangen … Aber ich liebe dich, Micha, ich liebe dich, und das ist so furchtbar, denn du weißt ja nicht, wen du da liebst …
Wenn sie sich innerlich so zerrissen hatte, war sie bereit, ihm die Wahrheit zu sagen. Aber dann fehlte ihr doch der Mut, sie krallte sich an ihn und ließ den Sturm ihrer Liebe erneut über ihn toben.
»Wir werden ein schönes Leben haben«, sagte Micha Lucek und legte die Arme um Valentinas Schultern. »Noch ein Semester … dann beginnen die Prüfungen. Im Winter werde ich mit meiner Doktorarbeit beginnen. Wir werden eine schöne Wohnung haben, vielleicht drüben in Smichov oder an der Moldau mit Blick auf die Burg. Ein Garten wird hinter dem Haus sein mit Birnen, Äpfeln und Kirschen. Ich werde Chefarzt werden, ein berühmter Mann, viel Geld werden wir verdienen. In der Welt werden wir herumreisen, nach Frankreich, nach England, nach Deutschland, Italien, Spanien, Amerika, mein Gott, auch nach China und Japan, zu den Kopfjägern und zu den Eskimos, und allen, allen werde ich zurufen: Seht euch meine Frau an! Seid ehrlich, Freunde … gibt es ein schöneres Mädchen als sie? Habt ihr solch einen Triumph göttlicher Schöpfung schon gesehen? Und sie werden alle, alle den Kopf schütteln … die Indianer und die Neger, die Schlitzaugen und die Mönche des Dalai Lama, die blonden Nordländer und die kleinen Eskimos. Im Chore werden sie alle singen: Die schönste Frau ist Miroslava Lucekova! Und wer nicht mitruft, Himmel noch mal, den bringe ich einfach um!«
»Es ist schön, was du sagst.« Valentina umklammerte seinen Hals und verbarg ihr Gesicht unter seiner Achsel.
Es ist so grausam, dachte sie. Du weißt ja nicht, wer ich bin. Es wird nie eine Zukunft geben, nie, Micha …
Und sie weinte, weil sie so unglücklich und glücklich zugleich war.
*
Am 19. August kam Pilny schon nach einer Stunde vom Funkhaus zurück und traf Frau Plachová und Irena noch beim Frühstück an. Sie diskutierten über einen Artikel, den Karel in der ›Miada Fronta‹ geschrieben hatte. Frau Plachová hatte die Zeitung vom Brötchenholen mitgebracht.
»Sie werden dir eines Tages noch auf den Mund hauen, Karel Pilny«, sagte Frau Plachová sofort, als Pilny in die Küche kam. »Man kann den Freiheitsdrang auch übertreiben. Wie oft ist mir ein Einmachglas geplatzt, weil es gärte. Du bist nicht anders … du blubberst wie junger Wein. Was willst du eigentlich hier? Verdient man beim Funk sein Geld mit Spazierengehen?«
Karel Pilny nahm Frau Plachová die Zeitung aus der Hand und warf sie in die Küchenecke. Sein Gesicht war ernst.
»Böse Nachrichten, Karel?« frage Irena. »Sag bloß nicht, du bekommst am 26. keinen Urlaub und wir können nicht zu Paps fahren.«
»Der Urlaub – das ist geklärt. Aber ich muß sofort an die Grenze …« Pilny setzte sich und holte aus der Tasche eine Autokarte. Er hatte sie schon so gefaltet, daß das Gebiet Erzgebirge oben lag. »Hier – nach Zinnwald und Teplitz muß ich. Ein paar Tage …«
»Wann?«
»Sofort!«
»Ich packe unsere Koffer.« Irena wollte aufspringen, aber Pilny hielt sie zurück.
»Ich muß allein fahren«, sagte er.
»Allein?«
»Das gibt es nicht!« rief Frau Plachová in strengem Ton.
»Es ist ein … ein besonderer Auftrag …« Pilny vermied es, Irena anzusehen, aber sie spürte, daß viel Unausgesprochenes sich hinter seinen Worten verbarg. »Es ist eine Aufgabe, bei der ich allein sein muß. Ich kann auch nicht darüber sprechen …«
»Er kann nicht! Hat man so etwas schon gehört? Er kann zu seiner kleinen süßen Frau und zu Mutter Bozena nicht sprechen! Er hat Geheimnisse. Karel Pilny!« Frau Plachová hob den langen dürren Zeigefinger. »Mach mich nicht wütend! Was willst du im Erzgebirge?«
Pilny seufzte und blickte wieder auf die Autokarte. »Wir haben aus Österreich Mitteilungen bekommen, daß an unseren Grenzen, ausgenommen natürlich die Westgrenze, sowjetische und andere Truppen des Warschauer Paktes aufmarschiert sind.«
Frau Plachová fuhr vom Stuhl, als sei sie gestochen worden. »Und du willst ins Gebirge fahren und sie beobachten! Du bleibst hier, Karel Pilny! Soll sich der Herr Direktor vom Funk selbst an die Russen schleichen. Du bist kein Soldat, Karel Pilny … du bist ein Künstler.«
»Irrtum. Ich bin auch Leutnant der Reserve. Aber das ist doch unwichtig. Ich muß nach Zinnwald und berichten, was ich sehe. Wenn ich Glück habe, kann ich
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