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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Prag dröhnten die Motoren der schweren sowjetischen Transportflugzeuge. »Unser Vaterland geht zugrunde!«
    Valentinas Müdigkeit war wie weggewischt. Sie kniete im Bett, die Hände flach auf den Schenkeln, und lauschte. Der Himmel war voll von einem gleichmäßigen, tiefen Brummen.
    Nun sind sie da, dachte sie und starrte auf das helle Rechteck des Fensters. Sie hörte, wie Lucek sich anzog und den Kopf unter den rauschenden Wasserhahn steckte. Nun kommen sie … mit Panzern und Geschützen, Fallschirmjägern und Flugzeugen, Spezialisten und Spitzeln. Bis es Mittag ist, werden sie das Land erobert haben. Sie werden die Rundfunkstationen besetzen, die Zeitungsredaktionen, alle wichtigen Straßen und Kreuzungen, alle Brücken und Bahnhöfe, alle Grenzübergänge und Flugplätze, die Fernmeldeämter und Postfunkstellen. Ich weiß das alles … Andrej Mironowitsch hat es mir erklärt, bevor ich nach Prag flog. Und die Henker werden selbst kommen: Andropow, der Chef des KGB, und Tschernowskij, der Mann, der die Intelligenz in der CSSR ausrotten soll. Vielleicht sind sie schon gelandet. Und nun erwarten sie, daß eine Valentina Kysaskaja zu ihnen kommt, einige Listen auf den Tisch legt und sagt: »Hier, Genossen, sind die Namen der Studentenführer und Herausgeber der illegalen Zeitungen.« Lucek würde an der Spitze dieser Liste stehen, dann Pilny, Irena Dolgan, Bohumil Vlach, der riesengroße Jurastudent, der die Druckerei leitete, und Mirko Kriz, der kleine, quirlige Student der Botanik, der die Vertriebsorganisation der Zeitung aufbaute. Und dann dreißig, vierzig Namen … die ganze Gruppe um Micha Lucek.
    »Wo willst du hin?« fragte Valentina, als Lucek aus dem Badezimmer kam und sein Hemd überstreifte. Sie hockte noch immer im Bett, wie gelähmt, zusammengekrochen unter dem Vorhang ihrer schwarzen, langen Haare.
    »Zum Funkhaus. Auf die Straße!«
    »Bist du verrückt, Micha?«
    »Wir werden eine Mauer bilden, eine lebende Mauer!« Lucek warf den Kopf in den Nacken. »Wir werden uns den sowjetischen Panzern entgegenstellen, waffenlos, mit leeren Händen ein Wall aus Leibern … und ich will sehen, ob sie weiterfahren, ob sie es wagen werden, uns niederzuwalzen!«
    »Sie werden es!« Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett, warf sich gegen Lucek und umklammerte ihn. »Es ist Wahnsinn, die Russen aufhalten zu wollen. Mit euren Leibern … mein Gott, mein Gott, welch ein Irrsinn! Ihr kennt die Russen nicht! Sie werden euch mit ihren Panzern zu Brei zermahlen. Ihr kennt sie nicht! Micha … ich flehe dich an … bleib hier … warte hier ab, wie sich alles entwickelt … Hier bist du sicher … Micha … bitte, bitte … du kennst die Russen nicht –«
    »Soll man mich den größten Feigling des Landes nennen? Mehrere hundert Kommilitonen stehen schon am Funkhaus und warten auf mich! Vor dem ZK-Gebäude ist geschossen worden! Eine Frau und ein Kind sind von den Russen getötet worden! Da soll ich –«
    Er zuckte zusammen, als sei er selbst getroffen worden. Von ganz weit her hämmerte es dünn durch den Morgen. Valentinas Gesicht verzerrte sich.
    »Maschinenpistolen –« sagte sie tonlos.
    »Dort sterben sie, und ich soll hier im Bett liegen? Das verlangst du von mir?« schrie er sie an. Er riß ihre Arme, die seinen Hals umklammert hielten, herunter und griff nach seiner Jacke. »Soll ich mich immer anspucken, wenn ich mein Gesicht im Spiegel sehe?«
    Die Stunde, in der sich Valentina Kysaskaja endgültig entscheiden mußte, war gekommen. Sie sah Lucek an, wie er ein rotes Halstuch um den Hemdkragen band und wußte, daß sie ihn nie verlassen konnte.
    »Warte, ich komme mit!« sagte sie tief aufatmend. »Ich will mich neben dich in die lebende Mauer stellen.«
    Lucek nickte. Er saß auf dem Bett und telefonierte gerade mit der geheimen Druckerei. Dort liefen die Maschinen schon auf Hochtouren. Man druckte Plakate. ›Geht nach Hause!‹ stand auf ihnen. ›Es lebe Dubcek! Nieder mit den Okkupanten!‹
    Die neuesten Meldungen waren bedrückend. Alle wichtigen Punkte der Stadt waren schon besetzt. Auf dem Wenzelsplatz stauten sich die sowjetischen Panzer. Sie hatten das Nationalmuseum beschossen, weil sie dachten, es sei das Funkhaus. Tausende von Menschen keilten die Panzer ein. Ein Wald von Fahnen wehte über den Köpfen. Dröhnend hallte die tschechische Nationalhymne über den riesigen Platz, aus rauhen, zitternden Kehlen, schwimmend in den Tränen, die aus Wut, Scham und Ohnmacht geweint wurden.
    Auf den

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