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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegangen, eine Kolonne Lastwagen rollte mit donnernden Motoren in Richtung Mala Strana und den Hradschin. Sowjetische Soldaten regelten den Verkehr und schickten die tschechischen Autos wieder zurück. Aber die Prager ließen sich nicht umleiten. Mit ohrenbetäubendem Hupen standen sie an der Brücke, eine Schlange schreienden Blechs.
    Lucek bremste und stieg aus dem Wagen. Sein Gesicht war wie eine Maske.
    »Sieh dir das an –« sagte er schwer atmend. »Das sind sie. Die Russen! Gott verfluche sie!«
    Valentina senkte den Kopf und schloß die Augen.
    Es war die schrecklichste Minute in ihrem bisherigen Leben.
    *
    Über eine Stunde dauerte es, bis Lucek endlich über die Moldau konnte und das Funkhaus erreichte. Von weitem schon hörte er tausendstimmiges Geschrei. Dazwischen hämmerten Maschinenpistolen. Vier dumpfe Explosionen zerrissen und übertönten den Lärm, die Fensterscheiben klirrten, eine Rauchwolke stieg steil in den Morgenhimmel.
    »Sie wehren sich!« schrie Lucek. Sein Gesicht hatte einen Glanz bekommen, der Valentina erschreckte. »Das wird die Welt aufrütteln!«
    Er raste um die Ecke der Italska-Straße und bremste dann.
    Vor ihnen wogten die Menschenmassen auf den Gehsteigen und über die Vinohradska. Ein sowjetischer Panzer und ein Lastwagen brannten, die Flammen schlugen aus dem Turm, zischend kroch das auslaufende Benzin über den Asphalt. Die Sowjetsoldaten bildeten einen Kreis um das krachend in Feuer aufgehende stählerne Ungetüm. Sie waren wehrlos und eingekeilt von Tausenden brüllender Menschen. Keiner half ihnen, niemand brachte Wasser, riß die hinten auf die Panzer geschnallten Reservebenzinfässer herunter, verhinderte neue Explosionen. Vor dem Funkhaus stand eine zusammengeballte Menschenmasse und verhinderte das Eindringen sowjetischer Soldaten in die Räume. Ein Stoßtrupp von sechzig Rotarmisten unter Führung von zwei Offizieren stellte sich auf, mit Gewalt das Funkhaus zu stürmen.
    »Aus dem Weg!« schrie der eine sowjetische Offizier. »Ich lasse schießen, wenn ihr nicht weggeht!«
    Ein Aufschrei antwortete ihm.
    »Dubcek! Freiheit! Dubcek! Freiheit!«
    Oben, in den verschiedenen Abteilungen des Funkhauses, saßen die Redakteure an den Telefonen und riefen ihre Angehörigen an. Die Nachrichtenabteilung sendete ununterbrochen die augenblicklichen Lageberichte. Millionen hörten die Stimme aus Prag.
    »Die Straße ist voller Panzer der Okkupationstruppen! Sie nähern sich dem Rundfunkgebäude, langsam noch, aber unaufhaltsam. Die Bevölkerung verbarrikadiert sich hinter umgestürzten Autos und Lastwagen. In ganzen Trupps springen die jungen Helden auf die Panzer und Mannschaftswagen der Sowjets, schwenken die Fahnen über ihre Häupter, stellen sich den Panzern in den Weg und rufen ›Dubcek! Dubcek!‹. Jetzt schießen sie! Die Russen schießen scharf! In der Vinohradska fliehen die Menschen. Da … hört ihr … das ist MG-Feuer. Die ersten Toten und Verwundeten werden weggetragen. Die Russen schießen! Und die Menschen singen und rufen immer noch ›Dubcek! Dubcek!‹ Wir tun es auch! Ihr Völker der Welt … ein Volk wird vergewaltigt!«
    Die Nachrichtenredaktion arbeitete wie ein Automat weiter. In allen anderen Abteilungen begann die Räumung. Schreibmaschinen, Tonbandgeräte, Mikrofone, Sprechfunkgeräte, kleine Walkie-Talkies – so groß wie ein Handrücken – und Transistorradios wurden in einen Anbau gebracht und dort versteckt. Vor allem die Transistorradios waren wichtig … durch sie hatte man Verbindung zu der umliegenden, nun abgeschnittenen Welt, aus ihnen konnte man hören, welche Sender noch arbeiteten, was die überall wie Pilze aus der Erde schießenden Geheimsender meldeten, ob die Nachrichten des eigenen Senders auch ausgestrahlt wurden oder die Anlagen schon zerstört waren.
    »Vor unserem Haus sammeln sich die Sowjets –« tönte die erregte Stimme des Nachrichtensprechers aus allen Radioapparaten. »Wenn sie uns stürmen, spielen wir die Nationalhymne! Es ist das Zeichen, daß es mit uns zu Ende ist. Aber die Freiheit wird weiterleben!«
    Unten vor dem Gebäude stürmten die Sowjetsoldaten die Türen. Sie zerkeilten die Menschenmauer, schossen über die Köpfe hinweg, Querschläger heulten über die Straße, irgendwo schrie jemand gellend auf. An den Panzern auf der Straße hingen Trauben von Menschen, meistens Studenten, und diskutierten mit den blassen, übernächtigten, unrasierten, verstörten Rotarmisten. Quer über die Straße geschoben,

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