Bluthochzeit in Prag
brannte knatternd ein Omnibus. Zwei riesige Panzer walzten ihn zur Seite, durchbrachen die Feuerwand und donnerten als Verstärkung zum Funkhaus. Ihnen entgegen zog eine dichtgeballte Menschenmenge mit Fahnen und Transparenten. Sie sang die Internationale, blieb dann stehen, eine Mauer aus wogenden Leibern, und schrie im Sprechchor: »Ihr Schweine! Ihr Faschisten!«
Micha Lucek hatte eine kleine Schar seiner Studenten um sich gesammelt. Sein Erscheinen hatte sich sofort herumgesprochen. Wie die Russen bildete er jetzt einen Stoßtrupp und rannte zum Eingang des Funkhauses.
»Wo ist Pilny?« schrie er im Laufen.
»Wahrscheinlich im Haus! Wir wissen es nicht!«
Sie erreichten die Türen des Funkhauses in dem Augenblick, in denen die Sowjets zum Sturm antraten.
»Unterhaken!« brüllte Lucek und griff zur Seite. Dort lief Valentina. Die Haare flatterten ihr über das gerötete Gesicht. »Bleib zurück …« keuchte Lucek. »Bitte … das ist nichts für dich!«
Valentina antwortete nicht, aber ihre Augen sagten genug. Sie hakte sich bei Lucek unter, fühlte, wie sich an der freien Seite ein anderer Student in ihren gewinkelten Arm schob … und dann stand sie in der ersten Reihe, die Beine fest auf die Straße gestemmt, und starrte den Rotarmisten entgegen. Meine Brüder, dachte sie. Sind es noch meine Brüder? O Gott, wie fremd sind mir plötzlich diese Uniformen –
In sechs dicht ineinandergehakten Reihen standen die Studenten vor dem Funkhaus. Lucek trug die Fahne in der rechten Hand. Er stand direkt vor dem blassen sowjetischen Offizier, der seine Pistole auf Michas Magen richtete.
»Zurück!« schrie er Lucek an. »Ich erschieße Sie! Ich habe den Befehl dazu! Zurück!«
Die Mauer der Studenten wankte nicht. Auf der Straße überspülte die Menschenwoge die Panzer. Man steckte Fahnen in die Mündungen der Kanonen, bewarf sie mit brennenden Gemüsekisten, malte riesige Hakenkreuze auf die Stahlplatten, erkletterte die Plattform und schrie die verstörten Sowjets an. Aus den Mannschaftswagen quollen die Rotarmisten, formierten sich und zogen unter dem Gejohle der Tausenden über die Vinohradska, einem Schneepflug gleich, der die Massen zur Seite drückt. Die Maschinenpistolen nach oben gerichtet, marschierten sie heran, und dann schossen sie, in die Stockwerke der Häuser, wo die Fenster zerplatzten und die abgesplitterten Steine über die Menge regneten.
Pausenlos, eine Demonstration der Macht.
Aus dem Weg! Die Straße frei! Weg von den Panzern!
Noch schießen wir in die Luft, an die Hauswände … aber es macht uns auch nichts aus, in eure Menschenmauer zu zielen!
Räumt die Straße!
Vor dem Funkhaus zerdrückte der sowjetische Stoßtrupp die Reihen der Studenten. Mit den Kolben der Maschinenpistolen hieben sie sich den Weg frei, die untergehakte Mauer zerbrach, bröckelte ab, die Geschlagenen taumelten zur Seite, hielten sich die Köpfe fest, schwankten an die Mauer, knickten in die Knie. Nur noch Lucek stand und neben ihm Valentina. Beide hatten die Fahne ergriffen und hielten sie vor sich hin. Links und rechts stürmten die Rotarmisten ins Funkhaus, jagten die Treppen empor, rissen die Türen auf, besetzten die Studios und zertrümmerten die Anlagen, zerschnitten die Mikrofonkabel, zerhieben die Telefonzentrale, machten aus den Mischpulten Kleinholz.
Aber es waren keine Fachleute, diese jungen, bleichen Sowjetsoldaten. Die wichtigsten Telefonanschlüsse blieben unversehrt, die Fernschreiber tickten weiter, und im Anbau, den die Russen übersahen, begannen fünf Minuten nach Zerstörung der Hauptsendeanlagen die Redakteure mit den Sendungen über die Notaggregate. Radio Prag, das die Sowjets zerstört wähnten, sendete weiter … und die Welt erfuhr, welche Piraterie auch noch in diesem Jahrhundert möglich war.
»Ich habe meinen Befehl –« sagte der sowjetische Offizier zu Lucek und Valentina, die mit ihrer Fahne allein vor dem Eingang standen. »Warum macht ihr es uns so schwer? Ich habe das alles auch nicht gewollt!«
Dann gab er Lucek einen Stoß vor die Brust, die Fahne schwankte, Lucek und Valentina stolperten gegen die Wand und die Fahnenstange zerbrach, als sie gegen die Mauer stieß.
Stumm ergriff Lucek das Fahnentuch, preßte es an seine Brust, ja, es sah so aus, als wickle er sich in die Fahne … dann rannte er zurück auf die Straße, den Panzern entgegen, die jetzt ihre Geschütztürme auf die Menschenmenge schwenkten. Aus dem brennenden T-52-Panzer krachten jetzt mit
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