Bluthochzeit in Prag
das?« fragte Pilny auf russisch. »Was denkst du dir dabei?«
Der junge Rotarmist sah Pilny erschrocken an und schlug dann das Mikrofon von seinem Mund. »Zurück!« schrie er. »Wir sind hier, um euch von den westlichen Imperialisten zu befreien! Wir sind Freunde!«
Der nächste Sowjetsoldat, ein breiter, großer Bursche mit einem roten runden Gesicht, diskutierte nicht mit Pilny. Er riß ihm das Mikrofon aus der Hand, warf es auf die Straße, zertrampelte es und gab Pilny einen Stoß, der ihn in die Menschenmenge zurückwarf.
*
In dieser Nacht flog Oberst Tschernowskij von Moskau ab. Anna Feodorowna, seine Frau, begleitete ihn bis zum Flugplatz, und er winkte ihr zu, bevor er im Leib der großen Antonow-An-12 verschwand.
»Bring mir etwas Hübsches mit«, hatte Anna Feodorowna gesagt. Wie ahnungslos sie war, das Täubchen. Und Andrej Mironowitsch hatte ihr einen Kuß auf die leicht geschlitzten Augen gegeben und geantwortet: »Ich werde dir ein Kleid mitbringen und eine Krokodilledertasche, mein Schatz.«
Dann hatte sie ihn umarmt und geküßt wie in alten Zeiten, und während er ihre Lippen spürte und den Druck ihrer kleinen, noch immer festen Brüste, hatte er gedacht: Ich werde Valentina finden! Bei allen Teufeln … ich werde sie entdecken. Ins Bett werde ich sie reißen und zermürben! O du verdammtes schwarzes Teufelchen –
Um 5.43 Uhr landete Oberst Tschernowskij in Prag.
Als er die Landebahn sah, faltete er die Hände und spürte, wie sein Herz bis zum Hals schlug.
VI
Telefone sollte man aus den Schlafzimmern verbannen. Vor allem aus den Schlafzimmern von Verliebten … immer rappelt der Wecker des Telefons dann, wenn die Seligkeit am größten ist. Es ist fast so, als ahne der Anrufer, daß gerade jetzt der ungünstigste Zeitpunkt für ein meist unwichtiges Gespräch ist … und deshalb läßt er durchschellen.
Nicht anders war es bei Micha und Valentina Kysaskaja. Nach der letzten, wie eine Feuersbrunst die Körper verbrennenden Umarmung waren sie in einen tiefen, von süßer Mattheit erfüllten Schlaf gesunken, lagen mit ineinander verschlungenen Beinen und genossen im Weggleiten noch die Wärme und Glätte ihrer Körper, als auf dem Nachttisch Luceks das Telefon anschlug und sie zurückriß in die Wirklichkeit eines fahlen Morgens.
Lucek setzte sich auf, schob den Kopf Valentinas von seiner Brust und fuhr sich mit beiden Händen durch die verschwitzten Haare. Valentina dehnte sich, kroch wieder an ihn heran und drückte ihre vollen Brüste gegen seinen Schenkel.
»Wirf ihn an die Wand –« sagte sie im Halbschlaf. »Schlag ihn kaputt, Liebster –«
»Gleich sechs Uhr –« Lucek sah auf die abgenommene, neben dem Telefon liegende Armbanduhr. »Welch ein Idiot ist denn das?«
Das Telefon rasselte weiter. Unbarmherzig. Lucek hob ab und lehnte sich gegen die hohe, hölzerne Rückwand des Bettes.
»Verdammt!« schrie er in die Muschel. »Habt ihr keine Uhr? Wer, zum Teufel, ist denn da?«
Dann schwieg er plötzlich. Eine aufgeregte Stimme schnarrte ohne Pause. Die Worte schienen sich zu überschlagen. Und je länger Lucek zuhörte, um so starrer wurde sein Gesicht.
»Es ist gut«, sagte er dann. Völlig verändert war seine Stimme. Sie klang rauh und abgehackt. »Wir treffen uns alle vor dem Rundfunkgebäude. Nur die Setzer und Drucker bleiben im Keller. Sind die Sprechfunkgeräte ausgegeben? Gut, Stephan. Sie sollen laufend Sondernummern und Extrablätter herausgeben. Ja, bringt die Fahnen mit und Transparente, die wir an Ort und Stelle beschriften können. Holt alle Freunde aus den Betten. Ich bin in zwanzig Minuten in der Vinohradska!«
Er legte auf und starrte auf Valentina. Nackt und glänzend lag sie vor ihm, zusammengerollt wie eine Katze, die Augen offen. Noch begriff sie nicht, was in dieser Nacht in Prag und in der gesamten Tschechoslowakei geschehen war.
»War das so wichtig?« sagte sie müde.
»Ja!« Lucek sprang aus dem Bett. Er zitterte am ganzen Leibe. »Die Russen sind da!« brüllte er. »Die Russen haben uns überfallen! Preßburg, Pilsen, Brunn sind schon besetzt, der Flugplatz von Prag wurde in einem Handstreich erobert, pausenlos landen sowjetische Flugzeuge mit Truppen und Panzern … von allen Seiten rollen sie auf Prag, das Zentralkomitee ist besetzt, die Burg, – nun marschieren sie zum Rundfunk und Fernsehen. Dubcek soll verhaftet sein und mit ihm Cernik und Svoboda –« Er rannte zum Fenster, riß es auf und breitete die Arme aus. Über den Himmel von
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