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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in breiter Front über die Straßen des Erzgebirges in die Tschechoslowakei ein. Noch wußte keiner, daß es so wie hier in Teplitz überall an den tschechischen Grenzen war, daß 145.000 Soldaten ab 23 Uhr die Freiheit niederwalzten, daß Moskau ein Exempel statuierte, vor dem am nächsten Morgen die ganze Welt betroffen und erschüttert stehen würde.
    Karel Pilny rannte auf die Straße. Und dann stand er vor einem der stählernen Kolosse, starrte hinauf zu den Sowjetsoldaten, die aus den Luken blickten oder hinter dem Turm auf dem Panzer hockten, sah die schußbereiten Kanonen, die entsicherten Maschinenpistolen, und aus ihm brach eine Wut heraus, eine Verzweiflung, die Liebe zu seiner Heimat und seinem Volk, die so übermächtig wurden, daß sie seine Kehle zusammenschnürten und ihn fast erstickten.
    Mit einem gewaltigen Satz sprang er den Panzer an, krallte sich an den Raupen hoch, zog sich auf die Plattform, stürzte auf den Kommandanten zu, riß ihn an den Schultern herum und schrie ihm ins Gesicht:
    »Was wollt ihr hier? Warum überfallt ihr uns? Sind wir nicht Kommunisten wie ihr? Sind wir nicht Freunde? Wer hat euch gerufen?«
    Der Kommandant schüttelte Pilnys Griff ab. Er zögerte, starrte in die Menschenmenge, die sich um die Panzer gebildet hatte, entschlossene, wütende, verzerrte, fragende, anklagende Gesichter, eine Flut von Augen, die ihn überspülte. Da winkte er kurz, zwei Rotarmisten ergriffen Pilny und warfen ihn gegen den Turm, zerrten ihn vom Panzer und stießen ihn hinunter. Kopfüber stürzte er auf die Straße. Irena fing ihn auf, so gut sie es konnte, aber die Wucht seines Sturzes riß sie mit … sie rollten über den Asphalt und blieben vor den ratternden Ketten des Panzers liegen.
    Ein Gewimmel von Händen half ihnen, hob sie auf, stützte sie, umgab sie mit einem Wall.
    »Schweine!« schrie jemand. »Verdammte Schweine! Erst Hitler … jetzt ihr! Faschisten!« Und plötzlich war eine Fahne da, eine tschechische Fahne, weißrot mit einem blauen Dreieck, – sie wehte über den Köpfen und senkte sich über die Sowjets auf dem Panzer. Die Rotgardisten rissen das Tuch an sich, zerfetzten es und warfen die Lumpen in die Mauer aus wogenden Leibern. Ein Gebrüll aus aberhundert Kehlen antwortete ihnen. Der Turm drehte sich, das Geschützrohr senkte sich. Über die Straße, von Zinnwald kommend, ratterten neue Panzer heran. Auch der Koloß vor Pilny fuhr wieder an. Langsam donnerte er auf die Menschenmenge zu, auf die Frauen und Männer, die sich untergefaßt hatten und sich dem graugrünen Untier furchtlos entgegenstellten.
    Wird er weiterfahren? Wird er uns niederwalzen? Wird er über zerquetschten Leibern seinen Weg fortsetzen? Wird es zum Völkermord kommen?
    Einen Viertelmeter vor der stummen, starren, nicht wankenden Menschenmauer hielt der Panzer an. Das Gesicht des Kommandanten war weiß und verzerrt.
    »Geht zur Seite!« brüllte er auf russisch, und es gab viele Tschechen, die das verstanden. »Ich sage euch … weg von der Straße! Dawai! Ich habe einen Befehl! Ich kann euch keine Antworten geben –«
    Die Menschenmauer wich zurück, schrittweise, so langsam, wie jetzt der Panzer wieder vorwärts rollte. Nur Pilny und Irena blieben stehen … dicht an ihnen vorbei rasselten die Ketten, und sie hatten sich umarmt, Pilny hatte sein Mikrophon auf den Kopf Irenas gestützt und sprach mit lauter Stimme seine Reportage auf das Tonband.
    »Sie haben uns überfallen wie die Piraten! Wenn man sie fragt, zucken sie mit den Schultern. Sie wissen nicht, warum sie hier sind. Sie haben nur einen Befehl. Und sie wollen weiter … hinein ins Land, nach Aussig, nach Pilsen, nach Prag … sie fahren durch unser herrliches Land und zerstampfen die Freiheit … Brüder, vergeßt nie diesen Tag! Brennt ihn ein in eure Herzen. Es ist der 20. August 1968!«
    Aus einem Lastwagen sprang eine Gruppe Rotarmisten. Sie gingen links und rechts der Straße mit gefällten Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten vor und machten die Fahrbahn frei. Drohende Fäuste reckten sich ihnen entgegen. Es waren junge Burschen, die da gegen die Tschechen vorgingen, Bauernsöhne aus Mittelrußland, aus der Ukraine, vom Don. Sie hatten Ratlosigkeit und Angst in den Augen und verstanden nicht, warum man sie anschrie und ihnen ins Gesicht spuckte.
    Auch Pilny erhielt einen Stoß mit einem Gewehrkolben und taumelte zurück. Doch gleichzeitig riß er sein Mikrofon hoch und hielt es dem jungen Sowjet vor den Mund.
    »Warum tust du

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