Bluthochzeit in Prag
Ohren gestülpt.
»Die Sowjets haben alle wichtigen Positionen im ganzen Land besetzt«, sagte sie. »An die Politabteilungen ist Befehl ergangen, alle Intellektuellen zu überwachen. Noch in dieser Nacht sollen die ersten Verhaftungen beginnen.«
»Woher weißt du das?« Pilny trat neben sie. Er sah auf den hin und her zitternden Zeiger der Peilskala. »Wen hörst du denn da?«
»Einen sowjetischen Militärsender.« Sie sagte es so ruhig, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Pilny beobachtete sie verblüfft, wie ihre langen schlanken Finger jetzt die Peilung abschalteten und den Kopfhörer über die zerzausten schwarzen Haare zurückschoben.
»Du kannst russisch?« fragte er erstaunt.
»Ja. Ein Schwager von mir ist Russe.«
»Davon hast du uns nie erzählt.«
»Ist das so wichtig?« Sie erhob sich, strich den zerrissenen Pullover glatt und sah Pilny unbefangen in die Augen. »Was müssen wir jetzt tun, Chef?«
»Den Notsender ausbauen. Alles andere erklärt dir Micha. Du bleibst bei ihm; Irena und ich verlassen den Zoo durch den Abwasserkanal. Los Kinder, wir haben nur noch ein paar Minuten Zeit …«
In zwei Rucksäcken, die für alle Notfälle im Wagen lagen, verstauten sie den auseinandergenommenen Sender und die Kästen mit den Trockenbatterien. »Das reicht für eine Woche«, sagte Pilny. »Wer weiß, was in einer Woche geschehen ist!«
Er half Irena, die Riemen umzulegen, warf sich selbst den schweren Rucksack mit den wertvollen Geräten auf den Rücken und kletterte aus dem Fleischerwagen.
Wieder stürzte ein Wärter ins Haus, die Mütze schief auf dem Kopf.
»Sie sind drin!« brüllte er. »Macht, daß ihr wegkommt!«
Lucek riß die Hintertür des Kastenwagens auf und ergriff Valentina um die Taille. Ehe sie begriff, was mit ihr geschah, hatte er sie hochgehoben und in den Wagen geschoben. Sie gab fast einen knurrenden Laut von sich und schob die Füße dazwischen, als Lucek die Tür wieder zuschlagen wollte.
»Laß mich hinaus!« sagte sie. »Ich will neben dir sitzen.«
»Du bleibst drin! Und kein Wort mehr!«
»Ich gehöre zu dir!«
»Eine tote Geliebte nutzt mir nichts! Wenn ich anfahre, legst du dich auf den Boden!« Er wollte die Tür mit Gewalt zudrücken, aber Valentina stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Aus ihren Augen schrien Angst und eine plötzlich hervorbrechende wilde Panik.
»Ich laß dich nicht allein!« schrie sie. »Ich will neben dir sitzen. Und wenn sie dich erschießen –«
Er hieb mit den Fäusten auf ihre Füße, und als sie erschrocken die Schuhe zurückzog, warf er die Tür zu und verriegelte sie.
Von innen trommelte Valentina mit den Fäusten gegen die Tür … sie trat dagegen, warf sich mit dem ganzen Körper an das dicke Blech, schrie und tobte. »Micha!« schrie sie. »Micha … laß mich zu dir … Micha …«
Lucek biß die Zähne zusammen und wandte sich an Pilny und Irena. Sie standen am Einstieg zu dem vier Meter tiefen Kanal … der eiserne Deckel zur Unterwelt war hochgeklappt. Kloakengestank und feuchte Moderluft wehten zu ihnen herauf.
»Mach's gut, Karel«, sagte Lucek gepreßt. »Bist ein tapferes Mädchen, Irena.« Er umarmte sie, und es war, als nehme er Abschied für immer. Dann riß er sich los, warf sich herum und rannte zurück zum Wagen. Mit einem Satz sprang er in das Führerhaus, knallte die Tür zu und ließ den Motor an. Im Inneren des Wagens schrie noch immer Valentina und hämmerte gegen das Blech.
Pilny sah dem Wagen nach, wie er langsam aus dem Raubtierhaus hinausmanövrierte und dann umglänzt wurde von einer orangeroten Abendsonne. Ein Wärter dirigierte Micha mit Handzeichen durch das enge Tor. Dann klappte die hohe Tür zu. Michael Lucek hatte begonnen, das Schicksal herauszufordern.
»Komm –« sagte Pilny heiser und nickte Irena zu. »Ich geh voran. Mach hinter uns den Deckel zu. Du brauchst ihn nur anzustoßen … er schwingt von allein zurück. Aber Kopf einziehen …« Er sah hinunter in das dunkle Loch, auf dessen Grund in die Betonwand eingelassene Steigeisen führten. »Vier Meter tief«, hatte der Oberwärter gesagt. »Dann kommt der Boden.« Glitschig, wie mit Schmierseife eingerieben. Doch es war keine Seife … es war fauliger Abfall, Kot, Verwesung. »Der Kanal ist links … der Gang daneben ist etwa sechzig Zentimeter breit. Das Gewölbe hat eine Höhe von einsachtzig. Alle Ausstiege sind von unten gezeichnet. Mit weißer Farbe. Sie müssen bei Einstieg 32 hinaus. Dort steht dann mein Wagen
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