Bluthochzeit in Prag
…«
Pilny knipste die Taschenlampe an und leuchtete hinunter. Im runden Lichtschein floß träge und stinkend das Abwasser von Troja. Daneben der betonierte Gang … erschreckend schmal aus dieser Perspektive.
Langsam kletterte Pilny die Steigeisen hinab, fand unten festen feuchten Betonboden, leuchtete seine ekelige Umgebung ab und sah dann nach oben, wo Irena sich über den Einstieg schwang und abwärts tastete. Als nur noch ihr Kopf aus dem Loch ragte, zog sie ihn zwischen die Schultern, gab dem Eisendeckel einen Fauststoß und duckte sich. Krachend schlug die Falltür zu. Wie Donnergrollen hallte es in dem unterirdischen Gewölbe.
Die Wanderung in die Freiheit begann. Vier Meter unter der Erde, immer entlang der Rinne, in der die Exkremente einer Stadt neben ihnen herschwammen.
*
Oberst Tschernowskij war aus seinem Wagen gesprungen. Die pendelnden Rüssel, die klappenden Ohren und die starren, kleinen Augen der riesigen Tiere mahnten ihn zur Vorsicht. »Sagen Sie den Mißgeburten, sie sollen die verdammten Viecher weiterführen.«
»Bitte, geben Sie den Weg frei«, übersetzte der junge Leutnant höflich.
»Das wird schwer sein.« Der Oberwärter kratzte sich den Kopf, nahm die Mütze ab, wischte den Schweißrand aus und wedelte sich Luft zu, als sei es ein heißer Tag. »Die Elefanten sind unruhig geworden. Sehen Sie nur, wie sie die Rüssel heben! Sie kennen keine Autos im Tierpark. Ich glaube nicht, daß wir in der Lage sind, die Tiere jetzt noch zu dirigieren. Seien Sie froh, daß sie so gesittet herumstehen –«
»Was sagt er?« knurrte Tschernowskij.
»Wir müssen warten, Genosse Oberst.«
»Warten?« Tschernowskijs Stimme hallte wie eine Fanfare. »Bin ich hier in einem Pissoir, wo man anstehen muß? Alle Mannschaften aus den Wagen! Wir durchsuchen den Zoo zu Fuß.«
Der junge Leutnant rannte zurück, Befehle hallten über die Straße. Dann marschierten vierzig Rotarmisten durch den Haupteingang. Eine Gruppe mit einem schweren MG und einem Granatwerfer folgte ihnen. Nachdenklich sahen die Wärter auf die kleine Streitmacht. Vom Pförtnerhaus telefonierte einer von ihnen zur Raubtierstation, wo ebenfalls ein Wärter wachbereit saß.
»Wir können sie nicht mehr aufhalten!« rief er. »Was macht der Sender?«
»Schon unterwegs –«
Es war der letzte Telefonanruf. Zwei Sowjetsoldaten stürmten in das Pförtnerhaus, rissen dem Wärter den Hörer aus der Hand und zerschmetterten ihn an der Wand. Dann zerhieben sie mit einem Messer das Telefonkabel und zwangen den Wärter, auf dem Stuhl Platz zu nehmen und die Hände hinter dem Nacken zu falten.
Stumm gehorchte der Wärter. Er war ein alter Mann, hatte nur noch ein Bein und zwei Finger an der linken Hand. Bein und Finger hatte er bei Ostrava verloren, als Partisan gegen die Deutschen. Nun hockte er vor einem dieser jungen Burschen aus den Steppen Rußlands, der Lauf der Maschinenpistole zeigte auf seine Brust. »Was seid ihr doch für Lumpen!« sagte er mit zitternder Stimme.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis Tschernowskij das Raubtierhaus erreichte. Hier aber wurde die Kolonne gestoppt. Der Oberwärter und vier andere Wärter standen vor den Käfigen, wie zu einer Parade. Sie standen neben den Gittertüren und hatten die Verschlußbolzen so weit gelockert, daß nur ein Fingertippen genügte und die Türen der Löwen- und Tigerkäfige sprangen auf.
Tschernowskij bremste seinen Schritt, als sei er gegen eine Glaswand gerannt. Auch der Oberwärter konnte russisch … es gab einmal eine Zeit, da war man ein Waffenbruder der Russen gewesen und umarmte sich, küßte sich und glaubte, nun werde die Welt eine andere, bessere Ordnung haben, nachdem man die deutschen Nazis besiegt hatte. Wie krumm war seither die Zeit verlaufen.
»Halt, Genosse!« rief der Oberwärter den Sowjets entgegen und hob die Hand. »Hier geht es nicht weiter!«
»Aha!« Oberst Tschernowskij reckte sich. Er war am Ziel, das spürte er. Das Raubtierhaus! Ein verteufeltes Versteck. Er lächelte sogar, als er hinüber zu dem schwarzen Panther blickte, der sich gegen die Gitterstäbe warf und fauchte. Wo anders könnte Valentina sein als bei den Raubtieren, dachte er. Wer selbst eine wilde Katze ist, findet immer das richtige Nest … »Hier ist es!« Er wandte sich um und winkte den Rotarmisten. »Das Haus umstellen und stürmen!« schrie er.
»Stoj.« Der Oberwärter trat einen Schritt vor. Die Wärter an den Gittertüren griffen nach den Verschlußbolzen. »Wer einen
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