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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hinunter auf ihr blutendes Knie. Es war aufgeschlagen, die Haut war geplatzt, und das Blut floß das Bein hinunter in den Schuh.
    Sie hetzte weiter und sah nicht, wie ein großer, schlanker blonder Russe seitlich von ihr aus einem Busch sprang, die Pistole anlegte, dann aber zögerte, die Waffe sinken ließ, und in den Gürtel zurücksteckte. Dafür setzte er zum Lauf an, schnellte über den Pfad und winkte beim Laufen zurück zu einer Gruppe Rotarmisten, die brüllend und »Stoj! Stoj!« schreiend in einiger Entfernung herantrabte.
    Allein lief der junge Russe Irena Dolgan nach, seine langen Beine schnellten den schlanken Körper vorwärts, als habe er auf der Aschenbahn das Laufen trainiert. Noch vier Meter war er von Irena entfernt, als sie zum zweitenmal stolperte, sich aber auffangen konnte und, nach Luft ringend, für Sekunden stehenblieb.
    Der heranrasende junge Russe prallte so heftig auf sie, daß sie zusammen zu Boden stürzten und ein Stück über den Waldboden rollten, übereinander wie zwei sich balgende junge Bären … dann lagen sie still, der junge Russe hatte Irena unter sich auf die Erde gedrückt und hielt ihre um sich schlagenden Fäuste fest. Noch einmal bäumte sie sich gegen das Gewicht des Mannes … dann lag sie still, nur ihre großen, blauen Augen starrten den Russen an. Es war ein Blick, der Abschied nahm und sich vor Verzweiflung verschleierte.
    Vorsichtig löste der Russe den harten Griff seiner Hände und richtete sich auf. Auch er hat blaue Augen, dachte Irena zusammenhanglos. Die Angst machte sie starr und nahm ihr die Stimme weg. Er hat ein schmales Jungengesicht. Gar nicht wie ein Russe sieht er aus. Und seine Haare sind blond und lockig. Eine Strähne hängt ihm in die Stirn über die Augen.
    Sie biß die Zähne zusammen und wartete. Wann greift er zu, wann haben die anderen uns erreicht, wann reißen sie mir die Kleider vom Leib, wann werden sie … einer nach dem anderen … bis ich zerbrochen bin … bis ich den Tod herbeisehne … bis … o Karel, ich werde dich nie wiedersehen …
    Der junge Russe kniete jetzt über Irena Dolgan und strich die Haarsträhne aus seiner Stirn.
    »Sie sind verletzt …«, sagte er in einem harten, aber klaren und einwandfreien Deutsch. »Ich werde Sie zu meinem Feldscher bringen lassen. Haben Sie keine Angst. Was man Ihnen von uns erzählt hat, ist eine Lüge. Wir vergewaltigen nicht jedes Mädchen. Stehen Sie auf … Sie befinden sich jetzt unter meinem Schutz. Niemand wird Sie anrühren. Kommen Sie.«
    Er half Irena vom Boden hoch und stützte sie, weil sie einknickte, und das verletzte Knie brannte, als läge es im Feuer. Die herangekommenen Rotarmisten bildeten einen Kreis um sie. Ihre Mienen waren finster und voll Rachegedanken.
    »Kommen Sie«, sagte der blonde Russe und faßte Irena unter. »Versuchen Sie zu gehen. Ich stütze Sie.«
    Gehorsam machte Irena ein paar Schritte, aber dann knickte sie wieder ein. Das Bein zuckte und hatte plötzlich keine Kraft mehr.
    »Lassen Sie es«, sagte der junge Russe. Mitleid schwang in seiner Stimme. »Ich werde Sie tragen. Bitte, haben Sie keine Angst …«
    Er bückte sich, hob sie hoch, und Irena umfaßte seinen Hals, drückte ihren Kopf an seine Schulter und ließ sich auf seine Arme nehmen. Eine Müdigkeit, die die ganze Welt in einen See von Gleichgültigkeit tauchte, überflutete sie. Und ein Vertrauen war plötzlich da, das alle Angst wegspülte. Sie hob etwas den Kopf und blickte in strahlende blaue Augen, die sich auf einmal weiteten und groß wie der Himmel wurden.
    »Ich werde ohnmächtig …«, stammelte sie. »O Gott, ich werde ohnmächtig …«
    Sie schloß schnell die Augen und hatte das Gefühl, in einer Schaukel zu liegen, die sie hoch hinauf in den Himmel wiegte. Dann schaltete ihr Gehirn aus.
    So lernte Irena Dolgan den sowjetischen Panzerleutnant Semjon Alexejewitsch Muratow kennen.
    *
    Sie erwachte und lag auf einem Feldbett. Ihr Rock war hochgeschlagen, das verletzte Bein auf eine Schiene geschnallt und dick verbunden. Über ihr rauschte und knatterte die graugrüne Leinwand eines großen runden Zeltes.
    Muratow saß auf einem Klappstuhl hinter einem Tisch und rauchte. »Haben Sie Schmerzen?« fragte er freundlich.
    »Nein.« Irena wollte sich vom Bett schieben, aber das war unmöglich. Die lange Schiene hinderte sie. Muratow kam zu ihr und setzte sich auf die Bettkante.
    »Der Feldscher hat Ihnen eine Spritze gegeben, eine gute Spritze. Sie nimmt alle Schmerzen weg. Allerdings

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