Bluthochzeit in Prag
die Flüssigkeit auf und drück dann die Luft aus der Spritze. Ja, so ist's gut, Mädchen.« Lucek beobachtete, wie Irena die Spritze aufzog und hob dann etwas das Gesäß an. »Karel, zieh mir die Hose aus. Brauchst nicht rot zu werden, Mädchen … ich sehe da nicht anders aus als Karel!«
»Nun werd nicht noch frech!« Pilny zog ihm die Hose und die Unterhose herunter.
So gab Irena Dolgan ihre erste Spritze, und sie tat es so gut, daß Lucek sich verwundert wieder auf den Rücken wälzte und seine Hose über den Unterkörper zog.
»Meisterhaft, Mädchen! Die Hose lasse ich gleich runter … du mußt in einer Stunde noch einmal injizieren.« Er lächelte, als er Pilnys besorgtes Gesicht sah und winkte mit der gesunden Hand ab. »Nun weint nicht gleich, Freunde. Das sind die ersten kritischen Tage. Wenn sich der Körper an das fremde Ding in der Brust gewöhnt hat, wird er ruhiger. Es gibt welche, die laufen heute noch mit Granatsplittern aus dem Ersten Weltkrieg herum.«
Während Irena aus der Verpflegungskiste Orangensaft holte und Lucek zu trinken gab, suchte Pilny in dem verfilzten Urwald einen Standort für seinen Sender. Nach einer Stunde kam er zurück, schmutzig bis zu den Knien.
»Ein wundervoller Ort«, rief er. »Unten in der Schlucht liegt ein Sumpf. Ein Sauloch, sag ich euch! Und dahinter ein Gebiet mit alten Höhlen, felsig, überwuchert, völlig zugewachsen … es müssen noch Höhlen sein, in denen früher die Bären gehaust haben. Wer den Sumpf überquert hat, wird spätestens hier umkehren, weil er sich sagt: Dort beginnt der Mond. Und genau da, mittendrin auf einem kleinen Felsengipfel, bauen wir unseren Sender auf.«
Lucek nickte. Die Spritze wirkte, er glitt langsam weg, die Welt wurde federleicht und rosig wie ein Marzipanschweinchen. Die Bäume bekamen einen violetten Schimmer, das Gesicht Irenas wirkte gläsern, wahrhaftig, ein Kopf aus Glas, in dem die Adern wie rote Fäden verschlungen waren, und das Gehirn war blau und die Haare schimmerten grün.
Lucek verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Mädchen, wie siehst du aus«, wollte er sagen, aber keiner verstand ihn, seine Lippen bewegten sich nur lautlos.
»Die dritte Flasche, schnell!« rief Pilny.
Irena holte das Plasma aus dem Koffer, verband den Schlauch mit dem Tropfer, wie es ihr Dr. Matuc gezeigt hatte, und schloß ihn an die Hohlnadel in Luceks Vene an. Die Flasche hängte sie an den Kleiderhaken neben das Autofenster.
Während langsam das Plasma in Luceks schwachen Körper tropfte, luden Pilny und Irena die Einzelteile des Senders aus und schleppten sie durch den Sumpf, die Schlucht und das Felsgewirr in die uralten, zugewachsenen Höhlen.
Um 20 Uhr, als die Nachrichten von Radio Prag gesprochen wurden, ertönte plötzlich nur zwei Striche weiter auf den Radioskalen eine bekannte, von Millionen Tschechen geliebte Stimme.
»Hier spricht Karel Pilny! Hier spricht die Stimme der Wahrheit.« Und dann, in einem etwas holprigen Russisch: »Freunde der Roten Armee. Auch zu euch spreche ich. Jeden Tag um 12 Uhr mittags schaltet auf die Welle unseres Senders der Freiheit um! Ihr werdet hören, wie die Welt über euch denkt. Ihr werdet endlich die Wahrheit erfahren, die eure Offiziere euch vorenthalten. Ihr werdet die Welt mit anderen Augen sehen.« Und dann wieder tschechisch: »Freunde im ganzen Land, beherzigt die Aufrufe der anderen Freiheitssender: Tretet in den Generalstreik. Schließt eure Geschäfte, wenn Russen kommen. Kein Brot, keinen Zipfel Wurst, keinen Becher Wasser mehr an die Okkupationstruppen. Zeigt ihnen eure tiefe Verachtung. Seht durch sie hindurch wie durch Luft –«
In Prag hörte Oberst Tschernowskij zufällig diese wiederaufgenommene Sendung, weil er gerade – um 20 Uhr – am Radio drehte, um die offiziellen Prager Meldungen abzuhören.
Karel Pilny!
»Da ist er wieder!« sagte er schwer atmend.
»Ja, – da ist er!« sagte Valentina stolz. Sie saß Tschernowskij gegenüber. Für eine flüchtige Sekunde fühlte sie sich glücklich. Ja, das war Karel. Er hatte es geschafft. War Micha bei ihm? Zu ihrer Überraschung hatte Tschernowskij ihr am Nachmittag Wäsche, ein Kleid und Toilettensachen schicken lassen. Man hatte ihr erlaubt zu duschen. Und nun saß sie also hier, hatte ein modisches, kurzes Kleidchen an, trank Wein und aß frischen Kuchen. Sie war frisiert, geschminkt und sah wie ein echtes Luderchen aus. Tschernowskij mochte das, und sie wußte es ganz genau.
»Hören Sie bloß, Valentina,
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