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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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glaubte an eine Liebe, die den ganzen Menschen erfaßt. Er glaubte an ein Mädchen, das seine Welt verändern konnte.
    Jetzt hatte er es gefunden. Blond, jung, wunderhübsch. Ein Mädchen, das schon lange in seinen Träumen vom Glück gesungen hatte.
    Wer konnte es Semjon verdenken, daß er sich wünschte, das Bein Irenas möge wochenlang schmerzen, anschwellen, in der Schiene bleiben, umwickelt werden …
    Während Irena Dolgan im Zelt immer wieder die Worte wiederholte, mit denen sie laut und energisch protestieren wollte, ging Muratow anstatt zum Küchenzelt zunächst zur Sanitätsstation.
    Der Feldscher Jurij Nikolajewitsch Lobotkin saß auf einer Kiste. Vor ihm, den Oberkörper vorgebeugt, stand ein Soldat mit heruntergelassener Hose und streckte ihm das nackte Hinterteil entgegen. Lobotkin war gerade dabei, ihm eine Injektion zu geben und unterbrach das Hineindrücken der Flüssigkeit in den Muskel, als Muratow eintrat.
    »Ich brauche Ihre Hilfe, Jurij Nikolajewitsch. Das Mädchen bei mir im Zelt –«
    »Ein Goldrubelchen, Genosse Leutnant. Sie haben ein Glück –«
    »Gar nichts habe ich. Sie will weg. Sie weiß, daß es nur ein kleiner Kratzer am Knie ist und wir sie nur in die Schiene legten, um sie am Gehen zu hindern. Das muß anders werden, Lobotkin. Sie müssen eingreifen.«
    Jurij Nikolajewitsch faltete die Hände. »Wie soll ich das tun, ohne sie zu beschädigen, Genosse?«
    »Unterstehen Sie sich! Sie muß gesund bleiben!«
    »Und doch krank sein … das ist fast Zauberei, Genosse.«
    Muratow nagte an der Unterlippe und starrte auf die Batterie von Medikamenten, die Lobotkin auf einem zusammenklappbaren Regal aufgebaut hatte. »Es muß doch eine Möglichkeit geben, daß sie Fieber bekommt. Fieber genügt. Da haben Sie hundert Medikamente und wissen keinen Rat, Lobotkin.«
    »Jedes Medikament ist gegen eine Krankheit. Man hat noch nie Arzneien entwickelt, um eine Krankheit zu erzeugen.«
    »Himmel noch mal –, dann ein Pseudofieber! Etwas, was ungefährlich ist. Ein paar Tropfen, nach denen sie einen heißen Kopf bekommt … oder schwindlig wird … oder schneller atmet …« Muratow sprang auf. »Überlegen Sie sich etwas, Jurij Nikolajewitsch. Irena muß noch bei mir bleiben. Ich … ich liebe sie. Sie müssen mir helfen –«
    Und Lobotkin, der alte Fuchs, mischte ein paar Tropfen zusammen, die den Kopf schwer machten und die Welt sich drehen ließen wie auf einer großen Schwabbelscheibe.
    *
    Zehn Stunden wartete Karel Pilny auf eine Nachricht Irenas oder ihre Rückkehr mit einem Arzt, dann wurde er unruhig.
    Micha lag auf einer Decke am Höhleneingang und hatte die Besinnung verloren. Sein Kopf glühte, seine Hände fühlten sich an, als seien sie aus frischgebackenem Brot. Von Zeit zu Zeit unterbrach Pilny seine Sendungen, flößte ihm Wasser zwischen die aufgesprungenen Lippen, wusch Michaels Kopf und Brust und erneuerte den Verband.
    Das Fieber schüttelte ihn. Das Herz klopfte wie rasend, der Puls jagte. Wir brauchen einen Arzt, dachte Pilny und rannte um den stöhnenden Micha herum. Man muß einen Trokar ansetzen, um die Ansammlung von Wasser und Eiter zu entfernen.
    Und Irena kam nicht zurück!
    Pilny stellte seinen Empfänger ein, koppelte ihn mit dem Tonband und nahm die Meldungen und Berichte auf, die aus Deutschland gesendet wurden. Bevor er seinen Sender abschaltete, sagte er ins Mikrofon: »Meine Zuhörerinnen und Zuhörer, ich bitte um Ihr Verständnis. Die Stimme der Freiheit muß für kurze Zeit schweigen, doch sie verstummt nicht. Aber wir sind in Not. Wir brauchen dringend einen Arzt. Bei uns befindet sich ein Schwerverletzter, der von sowjetischen Kugeln verwundet worden ist. Ohne Arzt stirbt er. Wir bitten alle Ärzte im Raum C 56/21 FB, die unsere Freunde sind, sich bereitzuhalten. Ein Kurier ist unterwegs. Hier spricht Karel Pilny. Freunde, helft uns, daß die Stimme der Freiheit weitersprechen kann. Ende.«
    Der Notruf wurde im ganzen Land gehört. Die Leitung der ›Civilni obrana‹ sprach sofort mit der Sektion Strakonice. Dort hatte man bereits mit dem Bürgermeister von Horni Vltavice Verbindung aufgenommen. In einem neutralen kleinen Wagen raste ein junger Chirurg vom Hospital Strakonice zur Grenze. Im Bürgermeisteramt von Horni Vltavice versammelten sich zehn kräftige, junge Männer, ein Stoßtrupp, zu allem entschlossen.
    Nur der Kurier Pilnys fehlte. Wo blieb er? Wer war es? Wo lag der Verwundete? Von wo sendete Pilny seinen Hilferuf? Er mußte hier in der

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