Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Marschgepäck in Sechserreihe, Patronentasche davor, Gewehre sauber ausrichten!«
Niemand rührte sich. Der Sergent stieg von seinem Pferd und schritt grinsend über einige seiner am Boden liegenden Männer. Er wusste, wann er nachgeben musste. Nach einer Weile, währenddessen in der Ferne die Glocke schlug, sagte er ruhig: »Wir gönnen uns eine halbe Stunde. Wer kein Wasser mehr hat, kann von mir kriegen.«
»Sergent Jobst«, machte sich einer bemerkbar, »ihr Sachsen habt’s mit der Ordnung wie der Jud mit dem Zins: nämlich zuviel!«
»Das meint nur der, der die Preußen nicht kennt«, bekam er zur Antwort. »Ich sag’ euch was: Den Preußen ist Unordnung so fremd wie Juden und Muselmännern das Schweinefleisch. Sachsen sind Menschenfreunde. Ein Preuße ließ jeden von euch einmal Spießrutenlaufen!«
Die einen lachten, andere fluchten. Doch tatsächlich kam langsam Ordnung in die Ausrüstung, und bis auf drei Grenadiere folgten alle dem Befehl.
Valentin wagte kaum zu atmen. Hinter einen der vier mächtigen Hauptarme geduckt, in die der Stamm sich teilte, versuchte er sich so klein wie möglich zu machen. Aber immer schmerzhafter spannten die Gelenke in der verrenkten Hockhaltung. Es war kaum mehr auszuhalten, er musste eine andere Position wählen. So geräuschlos wie möglich stemmte Valentin sich auf dem Arm nach oben, in der Hoffnung, sich anschließend langsam wieder etwas tiefer schieben zu können. In der dunklen Gabelung wäre er besser geschützt. Nur ausrutschen durfte er nicht, denn an einer Stelle der Gabelung kam es ihm vor, als deckte eine dicke vermoderte Altlaubschicht eine Kuhle zu. Vorhin war er dort etwas eingesackt und hatte sich dabei leicht den Fuß verstaucht.
Doch das Schicksal hatte anderes mit ihm vor. Gerade als Valentin sich in die volle Länge gestreckt hatte, entdeckte ihn einer von den am Boden Liegenden – der einzige, der sich trotz Gepäcks auf den Rücken gerollt hatte, die Beine angewinkelt, das Gesicht zur Krone. Valentin erstarrte, als er hörte, wie der Grenadier mit einem heiseren Schrei zum Gewehr griff und auf ihn anlegte.
»Sergent! Ich will zur Jungfrau werden. Seht Euch das an!«
Jobst Brüssler schnellte von seinem Baumtrümmer und stierte angestrengt in die angezeigte Richtung. In der Hast hatte er Mühe, sich in dem Ast- und Blättergewirr zurechtzufinden und erst auf den zweiten Blick verstand er die Aufregung.
Für Valentin indes türmten sich diese wenigen Sekunden zur größten Tortur seines Lebens. Niemals hatte er solche Angst ausstehen müssen. Jeden Augenblick glaubte er, würde das Mündungsfeuer aufblitzen und seine Brust zerfetzen. Als ihn die belustigte Stimme Jobst Brüsslers endlich aus seiner Ohnmacht befreite, war seine Kopfhaut wie mit Eis überzogen.
»Zum Henker, ich hab’ euch Weinpanschern ja allerhand zugetraut!«, rief der Sergent. »Dass ihr den Most aber mit Eicheln würzen wollt, ist arg. Wieviel Brummschädel macht so ein Fass, he?«
Valentin wurde zunächst kaum bewusst, dass er diesen grün-rot Uniformierten mit seinen kniehohen Schaftstiefeln verstehen konnte. Richtig zu sich kam er erst, als er sah, wie der Grenadier, der auf ihn angelegt hatte, sein Gewehr absetzte. Trotzdem wusste er nichts Rechtes zu sagen, schon weil er in der Aufregung die Sätze des Sergenten vergessen hatte. Und Jobst Brüssler schien fürs erste auch ohne Antwort zufrieden. Spöttisch rief er seinen Grenadieren zu:
»Ihr könntet ihn auf seinem Aussichtsast mit ein paar gut plazierten Schüssen zum Akrobaten befördern, aber das wär’ womöglich Pulververschwendung. Vielleicht schafft ihr´s aber, ihn vom Baum zu schütteln, wie?«
»Sergent, was will der Kerl?«, rief ein Grenadier. »Wohnt er da? Oder sucht er sich einen Ast zum Hängen aus?«
»Das wird´s sein, wenn er nicht endlich das Maul aufmacht!«, drohte ein anderer. »Ich häng’ ihn mit Vergnügen an seinen Gürtel auf und schwör´s euch, dem wird eine Eichel wachsen, so groß und saftig, wie sie selbst dieser Baum noch nicht ausgetrieben hat!«
»Pass auf Kerl!«, rief Jobst Brüssler, und diesmal klang seine Stimme nicht mehr so harmlos. »Entweder du lässt dir jetzt etwas einfallen, oder ich kann für nichts mehr garantieren. Hier brennt nämlich mindestens einer darauf, dich aufzuknüpfen.«
»Nein, Herr Offizier!« schrie Valentin in der Hoffnung, dem Sergenten zu schmeicheln. Denn dass die einfache rote Schulterkordel nicht für einen hohen Rang stehen konnte, darauf
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