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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
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dem mich meine Mutter zur Dwingelerheide gebracht hatte.
    Wir hatten eine kleine Tasche dabei, die ein paar Sachen von mir enthielt. Unterhosen für eine Woche, drei lange Hosen, fünf T-Shirts und zwei Pullis. Und das Vogellexikon. »Den Rest bring ich dir später, Ray.«
    Die kleine Tasche hatte die Hoffnung in mir aufkeimen lassen, mein Aufenthalt in der Dwingelerheide sei zeitlich begrenzt. Meine Mutter wusste schließlich, dass ich es nicht ohne meine Fischer-Technik aushielt und auch nicht ohne meine Fossiliensammlung.
    Aber als ich sie fragte, wie lange ich bleiben würde, hatte sie mich nicht angesehen. Den Blick vor sich auf die Straße gerichtet, sagte sie: »Keine Ahnung.«
    Ich war groß für mein Alter. Groß genug, um vorn zu sitzen. Deshalb fiel es anderen Menschen besonders schwer, zu verstehen, dass ich emotional hinterherhinkte. Zumindest hatte ich einmal gehört, wie meine Mutter so etwas zu einer Nachbarin sagte. Später hatte sie es auch mir erklärt. Die Leute sehen ein großes Kind, verstehen aber nicht, dass man innerlich noch ganz klein ist.
    Meine Mutter und ich waren eine Familie gewesen, trotzdem hatte sie mir ständig von der Dwingelerheide, dem gemütlichen
Schlafsaal, dem abwechslungsreichen Speiseplan und den Schaukeln im Garten vorgeschwärmt.
    Sie hatte die kleine Tasche in den Schrank geräumt, in dem ich meine Sachen aufbewahren durfte. Früher hatte man ihn abschließen können, aber weil die meisten Jungen den Schlüssel verloren, war man im Heim davon abgekommen.
    »Wenn wir deiner Mutter nachher Auf Wiedersehen sagen, musst du nicht weinen, einverstanden?«, sagte die Schwester, die mit uns einen Rundgang durch die Dwingelerheide gemacht hatte. Sie legte den Arm um meine Schulter, als wollte sie sagen, dass ich jetzt zu ihr gehöre und nicht mehr zu meiner Mutter. Ich schüttelte ihn sofort ab.
    »Wir gehen jetzt gemeinsam zum Ausgang. Dort drückt dich deine Mutter, und du winkst ihr nach. Wie ein großer Junge. Enttäusche sie nicht.«
    Ich wartete darauf, dass meine Mutter meine emotionale Zurückgebliebenheit erwähnte, aber sie hielt den Mund. Stattdessen meinte sie: »Hübsch, die selbst bemalten Töpfe mit der Gartenkresse.«
    Die Schwester lächelte. »Wir basteln hier sehr viel mit den Kindern. Und Kresse schmeckt lecker und ist außerdem gesund.«
    »Ich lege viel Wert auf gesunde Ernährung. Obwohl Ray nicht gerade wild auf Gemüse ist. Ich achte darauf, dass er zuerst die gesunden Sachen ist, anschließend darf er sich über das Fleisch hermachen.«
    »Ich werde es ausrichten«, meinte die Schwester.
    »Es hilft auch, wenn er mitkochen oder Gemüse im Garten anpflanzen darf.« Die Stimme meiner Mutter klang anders als sonst. Als ich sie ansah, hatte sie die Lippen zusammengepresst. Außerdem zwinkerte sie auffällig oft mit den Augen.

    Wir hatten den Ausgang erreicht.
    Ich konnte immer noch nicht glauben, dass meine Mutter mich hier zurücklassen würde. Ich dachte, das sei so eine Art letzte Warnung: »Diesmal darfst du noch mit nach Hause. Aber wenn du noch einmal Unsinn machst, musst du für immer hierbleiben.«
    »Jetzt ist es Zeit, sich zu verabschieden.«
    Meine Mutter nahm meinen Kopf in beide Hände und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Dann umarmte sie mich so fest, dass ich Angst hatte zu ersticken. Die Brust meiner Mutter hob und senkte sich schwer.
    »Das ist nicht leicht, was?«, sagte die Schwester. Sie tätschelte meiner Mutter den Rücken.
    Meine Mutter hielt mich dermaßen lange fest, dass ich dachte, sie würde nie wieder loslassen. Doch schließlich tat sie es doch. Auf ihren Wangen befanden sich schwarze Schlieren, und ihre Augen waren rot.
    »Gehen Sie ruhig«, sagte die Schwester. »Das ist das Beste.«
    Meine Mutter öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, aber es kam kein Laut über ihre Lippen. Sie dreht sich um und lief mit gesenktem Kopf hastig den Weg zum Parkplatz hinunter.
    Ich winkte, obwohl sich meine Mutter kein einziges Mal umsah. Erst als sie auf dem Parkplatz stand, schaute sie mich an und rief: »Sei lieb, Ray, ja? Sei lieb!«
    Ich war lieb. Schließlich weinte ich nicht. Genau, wie es mir die Schwester befohlen hatte.
    Das Weinen kam später, in den Nächten darauf.

45
    Zwischen den vielen VWs und einem Saab stand ein Jaguar. Ich ging einfachheitshalber davon aus, dass Victor Asscher der Marke treu geblieben war. Es war eine Luxusausführung mit beigen Ledersitzen. Abgesehen von einer zerknitterten Windjacke auf dem

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