Blutige Asche Roman
Rücksitz sah das Auto aus, als wäre es niegelnagelneu.
Der Mann war ordentlich, sehr ordentlich. Ich dachte an die vielen Mars-Einwickelpapiere, die leeren Sunkist-Verpackungen, ja sogar Bananenschalen, die auf dem Boden meines Autos lagen. Ich war das absolute Gegenteil, aber ich fuhr schließlich auch keinen Jaguar, sondern einen alten Golf.
Wahrscheinlich war er gerade wegen seines Ordnungssinns in der Lage gewesen, jahrelang ein Doppelleben zu führen. Er hinterließ alles stets aufgeräumt.
»Ich habe Ihnen alles erzählt, was es zu erzählen gibt.« Victor lief mit starrer Miene an mir vorbei, den Autoschlüssel hatte er bereits gezückt.
»Daran habe ich so meine Zweifel.«
»Lassen Sie es mich so formulieren: Ich habe Ihnen schon mehr erzählt, als ich eigentlich wollte. Außerdem bin ich keineswegs verpflichtet, Ihnen bei Ihren Nachforschungen zu helfen. Wenn Sie noch Fragen haben, verweise ich Sie gern an meinen Anwalt.« Er drückte auf den automatischen Türentriegler. Die Scheinwerfer des Jaguars flammten auf.
Ich stellte mich vor die Fahrertür, so dass er nicht einsteigen konnte. »Ein Anwalt, nur zu.«
»Lassen Sie mich bitte in Ruhe.«
»Gern. Aber vorher brauche ich noch ein paar Antworten. Hat Rosita gedroht, Ihrer Frau von dem Verhältnis und von Anna zu erzählen?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich kann Ihre Frau auch gern selbst fragen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Das lassen Sie mal schön bleiben.«
»Also?«
»Es verging kein Tag, an dem sie nicht damit drohte. Bei Rosita musste immer alles nach ihrem Kopf gehen. Aber ich wusste, dass sie es nie tun würde.«
»Tatsächlich? Warum dann dieser heftige Streit kurz vor ihrem Tod? Darum ging es doch?«
»Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.«
»Komisch. Die meisten Menschen würden so einen Konflikt nicht so schnell vergessen, erst recht nicht, wenn ihre Geliebte kurz darauf ermordet wird. Rosita hat damit gedroht, Milly über das Verhältnis zu informieren, hab ich Recht? Das kam Ihnen natürlich ungelegen.«
»Sonst noch was? Wollen Sie etwa behaupten, dass ich Rosita ermordet habe? Und mein eigenes Kind? Jetzt reicht es aber!«
»Wahrscheinlich hatten Sie Angst, dass Rosita Milly aufsuchen könnte. Kein besonders angenehmes Gefühl. Und die Drecksarbeit kann man auch anderen überlassen.«
»Ich bitte Sie ein letztes Mal, mir aus dem Weg zu gehen.« Er holte sein Handy aus der Hosentasche und wählte eine Nummer. »Sonst werden Sie zu spüren bekommen, wie es ist,
vom Sicherheitsdienst vom Gelände geführt zu werden. Auch kein angenehmes Gefühl, das kann ich Ihnen sagen.«
»Gut, ich gehe.«
Er verstaute sein Handy wieder. »Bitte sehr.«
Ein älterer Mann überquerte den Parkplatz. Er trug einen Dreiteiler und benutzte einen Spazierstock. Er betrachtete uns aufmerksam.
»Guten Tag, Meneer van Benschop«, sagte Victor Asscher. Van Benschop? Ich musterte das Gesicht des Mannes und erinnerte mich, ihn schon einmal bei uns in der Kanzlei gesehen zu haben, vor einem Termin mit Martha Peters. Ob Asscher wohl sein Bilanzbuchhalter war?
»Na, na, so geht man doch mit einer Dame nicht um, Asscher.« Sein Blick ruhte kurz auf mir. »Und schon gar nicht mit so einer charmanten Erscheinung.«
»Guten Abend«, sagte ich.
Er blieb kurz stehen und sah mich durchdringend an. »Kenne ich Sie?«
»Ich arbeite bei Bartels & Peters. Vielleicht haben Sie mich dort schon mal gesehen.«
Er gab mir die Hand. »Twan van Benschop.«
»Iris Kastelein.«
Er wiederholte meinen Namen, als sei es lebenswichtig, ihn nicht zu vergessen. Dann sagte er ziemlich abrupt: »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Mevrouw Kastelein. Asscher.« Er nickte Victor zu und setzte seinen Weg fort.
»Wir sollten uns jetzt lieber verabschieden«, sagte Asscher drohend.
Der Parkplatz lag inzwischen vollkommen verlassen da, und es schien mir in der Tat das Vernünftigste.
46
Schwer zu sagen, ob ich in der Nacht vor dem Mord an Rosita und Anna schlecht oder gar nicht geschlafen hatte. In meinem Kopf jagte ein schlimmes Erlebnis das nächste, und davon gab es in meinem Leben nicht gerade wenige.
Schlimme Erlebnisse, bei denen ich geschlagen, ausgelacht oder in eine Zelle geworfen worden war. Fast noch mehr litt ich jedoch an Tagen, an denen überhaupt nichts geschah. An denen ich einfach im Aufenthaltsraum der Dwingelerheide saß, von dem meine Mutter sagte, dass er gemütlich wäre. Aber was nutzte mir die Gemütlichkeit? Als ob mich
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