Blutige Asche Roman
Schreibtisches und schlug die Beine übereinander. Er trug rote Socken.
»Was machen deine Nachforschungen im Fall Boelens?«
»Hmmm«, sagte ich.
»Los, erzähl schon. Mit wem hast du gesprochen, was steht in der Akte, was ist dein erster Eindruck?«
»Egal, mit wem ich rede, die Leute scheinen sich ziemlich einig zu sein: Ray Boelens ist ein gestörter Sonderling, seine Nachbarin hat ihn benutzt und dann fallen lassen, daraufhin sind bei ihm die Sicherungen durchgebrannt. Er hat nie gestanden, aber seine Aussagen sind ziemlich belastend. Außerdem hat er ein überzeugendes Motiv, war am Tatort und hat mehr oder weniger gestanden, dass sich die Mordwaffe in seinem Besitz befindet. Das ist alles nicht sehr ermutigend.«
»Mit wem hast du bereits gesprochen?«
»Mit Nachbarn. Mit Freunden und Familienangehörigen der Opfer …«
»Und?«
»Tja. Ich habe herausgefunden, dass der Stiefvater nicht ganz sauber ist. Er saß wegen Hehlerei im Gefängnis und handelte mit Betäubungsmitteln. Weil Rosita und Anna ausgeschaltet wurden, hat er das Vermögen des Onkels seiner verstorbenen Frau geerbt. Das klingt eigentlich wie ein Motiv. Obwohl es mir nicht sehr wahrscheinlich vorkommt, dass man die Morde plant, um dann zu warten, bis der Onkel von selbst stirbt. Das wäre wirklich sehr langfristig gedacht.«
»Hmmm.«
»Dann der Liebhaber. Boelens hat gehört, wie sich Asscher und Rosita kurz vor dem Mord gestritten haben. Er hat so etwas gebrüllt wie: ›Das hättest du ihr nicht sagen dürfen.‹ Vielleicht hat Rosita seiner Frau was von ihrem Verhältnis erzählt. Eigentlich auch ein plausibles Motiv, nur leider war Asscher während der Morde in Urlaub auf Kreta.«
»Ein Auftragsmord?«
Ich zuckte die Schultern. »Vielleicht.«
Lode griff nach dem Zoo-Foto von Aron und mir, das auf dem Schreibtisch stand, und sah es sich an. »Was glaubst du? Könnte Ray Boelens tatsächlich unschuldig sein? Gibt es den kleinsten Hinweis in diese Richtung?«
»Von seiner eigenen Aussage einmal abgesehen?«
Lode nickte und stellte das Foto wieder hin.
»Ehrlich gesagt keinen. Na ja, außer dass er nicht raucht und der Täter eine Zigarette auf der Leiche des Mädchens ausgedrückt hat. Nicht gerade ein überzeugendes Argument.«
»Stimmt«, sagte Lode. »Und was sagt dein Gefühl?«
»Ich kann ehrlich gesagt kaum noch klar denken.«
Er schoss hoch und schüttelte wild den Kopf. »Nein, nicht denken! Hör auf deine Intuition. Komm schon, Iris. Was empfindest du, wenn du Ray Boelens ansiehst?«
»Verwirrung«, entgegnete ich erschöpft.
»Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, an dem wir ein ganzes Team auf den Fall ansetzen oder aufgeben. Wenn ich dir so zuhöre, plädiere ich für Letzteres.«
Ich zögerte. Wenn herauskäme, dass Ray mein Bruder war und ich unnötig viel Zeit auf seinen Fall verwendete, hätte ich ein Problem. Aber ich wollte Ray nicht im Stich lassen. Nicht jetzt, wo ich wusste, dass Asscher und Rosita kurz vor ihrem Tod Streit gehabt hatten. Aufgeben konnte ich immer noch. »Ich möchte noch einmal mit Asscher reden. Er hat ein starkes Motiv und muss, wie du sagst, den Mord nicht selbst verübt haben. Er kann ihn auch in Auftrag gegeben haben.«
»Soll ich mir die Akte auch mal ansehen?«
»Gern.«
»Ich nehme es dir wirklich nicht übel, wenn wir bei diesem Fall nicht weiterkommen. Wiederaufnahmeverfahren sind das
Allerschwierigste, das weiß doch jeder. Selbst wenn der Verurteilte eindeutig unschuldig ist, heißt das noch lange nicht, dass man den Fall gewinnt. Ich hatte mal einen Fall, bei dem die Akte von vorn bis hinten nicht stimmte. Es war so klar wie Kloßbrühe, dass der Verdächtige nicht am Tatort gewesen sein konnte, weil er zum Zeitpunkt des Mordes in der Straßenbahn saß. Er war dort von einem Zeugen gesehen worden, und er besaß eine abgestempelte Fahrkarte. Alles stand ordnungsgemäß in der Akte. Und trotzdem wurde das Verfahren nicht wieder aufgenommen.«
»Nein?«
»Das ist kein Einzelfall. Ich habe Anzeigen geschaltet, um neue Zeugen zu finden, das volle Programm. Aber wenn man den vorhandenen Fakten keine neuen hinzufügen kann, hat man nichts in der Hand.«
»Ich weiß.«
»Natürlich. Ich werde mir die Akten ansehen und komm dann mit meiner Einschätzung so schnell wie möglich zu dir.«
»Danke.«
44
In der Nacht, nachdem Rosita einfach die Vorhänge zugezogen hatte, schlief ich schlecht. Eigentlich hätte ich an sie denken müssen, aber ich dachte an den Tag, an
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