Blutige Asche Roman
Carla wohnt weit weg in Rotterdam und ist ständig beschäftigt. Ich habe nur sehr wenig von ihr.«
»Carla. Wie geht es ihr?«
»Blendend! Nur schade, dass sie mich immer noch nicht zur Oma gemacht hat. Aber sie genießt ihr Leben viel zu sehr, um Kinder zu kriegen, sagt sie.«
»Tja.«
»Und wie geht es dir, mein Schatz? Du bist ständig beschäftigt. So warst du schon als Kind. Wie ein fleißiges Bienchen, habe ich immer zu deiner Mutter gesagt.«
Wie nett! Nein, ich bin keine überspannte, alleinerziehende Rabenmutter, ich bin ein fleißiges Bienchen.
»Mit Carla hatte ich alle Hände voll zu tun, aber du warst schon sehr früh selbstständig. Ich weiß noch, wie ich nach der Geburt völlig erschöpft war. Bei Ageeth war das anders. Die lief herum, als wäre ihr Leben eine Margarinewerbung.«
»Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?«
Lien legte ihre Stirn in tiefe Falten und starrte konzentriert an die Decke des Supermarkts. »So fünfunddreißig Jahre bestimmt. Deine Mutter war gerade nach Buitenveldert gezogen. Ich hatte guten Kontakt zu ihrer Nachbarin. Die ist jetzt auch schon ein paar Jahre tot, aber ich will dich nicht mit diesem Altweiberklatsch langweilen. Die Nachbarin hatte Geburtstag, bei ihr haben wir uns das erste Mal gesehen. Ageeth kannte damals noch so gut wie niemanden. Und ich hatte nach der Hochzeit gerade aufgehört zu arbeiten, denn so war das damals noch. Seitdem trafen wir uns. Und nachdem du
und Carla aus dem Haus wart, fingen wir mit Bridge an, aber das ist wieder eine andere Geschichte.«
»War sie damals schon mit meinem Vater zusammen?«
Die Falte in Liens Stirn wurde noch tiefer, so als hätte ich sie gebeten, dreihundertfünfunddreißig mit sechstausendachthundertdreiundneunzig zu multiplizieren. »Nein, nein, dein Vater war noch längst nicht aufgetaucht, als ich Ageeth kennenlernte. Den traf sie erst ein halbes Jahr nach ihrem Umzug nach Buitenveldert. Ich seh sie noch vor mir, mit ihren geröteten Wangen: ›Lien‹, hat sie gesagt, ›diesen Mann werde ich heiraten. Dieser Mann wird gut für mich sorgen.‹«
Jetzt hatte ich wohl oder übel Liens gerunzelte Stirn übernommen. »Also wohnte sie erst noch irgendwo anders in Buitenveldert.«
»Nein …«, sagte Lien übertrieben theatralisch. »Nein, den Bungalow hatte sie schon. Das war schon was Besonderes, damals. Eine Frau mit einem eigenen Haus, ohne Mann. Insgeheim haben wir sie alle ein bisschen beneidet.«
Ich fragte mich, wie es meine Mutter geschafft hatte, einen Bungalow in Buitenveldert zu finanzieren. Inzwischen waren diese Häuser mehr als eine Million wert. Soweit ich wusste, hatte sie eine Sekretärinnenausbildung absolviert, aber dass sie in diesem Beruf gearbeitet hätte, wäre mir neu. Ich war die ganze Zeit wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass mein Vater das Haus gekauft hatte. Wer weiß, vielleicht hatte meine Mutter irgendwo einen reichen Onkel gehabt, der ihr etwas vermacht hatte. »Was glaubst du, wie hat sie sich das denn leisten können?«
Lien zuckte die Achseln. »Sie wird eben viel gespart haben.«
»Wovon denn?«
»Ja, das weiß ich auch nicht. Sie hätte einen guten Job gehabt, meinte sie.«
Und neben diesem guten Job hatte sie sich auch noch um ein kleines Kind kümmern müssen. Sehr glaubwürdig klang das nicht.
»Komisch«, sagte ich.
»Natürlich klingt das komisch. Aber so ist es nun mal. Wenn man älter wird, sollte man sich ohnehin in den Wahnsinn flüchten.« Sie sah auf die Uhr. »Oh Gott, ist es schon so spät? Ich muss los, Liebes. Meine Mongölchen warten.«
Sie rief mir noch so etwas wie ein »Huhu!« zu - anscheinend der Standardgruß von Übersechzigjährigen - und durchquerte mit beherzten Schritten die Gemüseabteilung, den Sack Kartoffeln noch in der Hand.
Während ich hastig Staudensellerie, ein Glas Spaghettisoße, ein halbes Pfund Bio-Rinderhack und geriebenen Parmesan in meinen Korb warf, fragte ich mich, ob Lien wohl wusste, dass es Ray gab. Ich glaubte, eher nicht.
Zurück im Büro, rief ich beim Katasteramt an. Innerhalb einer Minute wurde mir freundlich mitgeteilt, dass das Haus 1971 für 150 000 Gulden gekauft worden war. Ohne Hypothek. Das musste damals ein astronomisch hoher Betrag gewesen sein.
»Meine Schöne!« Ich hatte Lode gar nicht kommen hören. Es war eigentlich nicht seine Angewohnheit, einfach so in mein Zimmer zu platzen. Normalerweise wurde ich in sein Büro zitiert.
Lode setzte sich auf die Kante meines
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