Blutige Asche Roman
ein bisschen zusammen. Die von Iris waren weit aufgerissen.
»Was bist du jetzt?«, fragte ich.
»Wie meinst du das?«
»Was bist du jetzt? Böse? Traurig? Ängstlich? Froh?«
»Fest entschlossen«, sagte sie.
»Oh.«
»Wusstest du, dass ich mit Victor Asscher gesprochen habe?«
»Annas Vater.«
»Genau. Er reagiert immer noch sehr emotional auf Rositas und Annas Tod.«
»Sie hatten Streit«, sagte ich. »Zwei Tage, bevor Rosita starb. Er ist mitten in der Nacht gegangen und nie mehr zurückgekommen.«
Iris beugte sich weit vor, ihre Augen waren ein bisschen zusammengekniffen. »Worum ging es bei diesem Streit?«
»Sie hat irgendwem was erzählt. Da hörte ich ihn schreien. Mitten in der Nacht, direkt durch die Wand.«
Anscheinend tat ich Iris Kastelein mit meinen Worten einen großen Gefallen. Sie beugte sich noch weiter vor. »Im Ernst?«
Ich nickte.
»Und darüber haben sie gestritten?«
Ich nickte erneut.
»Interessant.«
Diesmal nickte ich nicht.
»Wusst ich’s doch, dass mit ihm was nicht stimmt. Glaubst du, Rosita hat damit gedroht, Victors Frau von dem Verhältnis zu erzählen?«
»Woher soll ich das wissen?« Ich suchte die weiße Wand
nach Spinnen ab. Vielleicht konnte ich eine fangen und mit in meine Zelle nehmen. Dann hatte ich doch noch ein Haustier.
Iris Kastelein saß wieder normal auf ihrem Stuhl. »Ich weiß, dass dir das schwerfällt. Aber wir müssen über den Tag reden, an dem Rosita und Anna starben. Du hast sie gefunden, stimmt’s?«
Auf einmal wurde mir wieder ganz warm. Ich spürte, wie mir der Schweiß den Rücken runterlief, obwohl ich nur noch mein Hemd anhatte.
Ich würgte ein »Ja« hervor. »Ja.«
»Und wie ist das passiert?«
»Ich sah, dass die Tür offen stand, und ging ins Haus. Da lagen sie.«
»Und waren sie schon tot?«
Ich sah wieder das viele Blut vor mir. Obwohl ich den Kopf schüttelte, wurde ich das Bild nicht los.
»Ray?«, fragte Mo. »Hast du die Frage gehört?«
»Ja«, flüsterte ich. »Sie waren schon tot.«
»Hast du noch irgendwas gesehen, bevor du reingingst? Waren Menschen auf der Straße? Nachbarn? Bekannte? Unbekannte?«
Ich dachte gründlich nach, aber es fiel mir schwer, mich an die Ereignisse des 17. Mai 1998 zu erinnern, jetzt, wo mir jemand gegenübersaß. Nachts, in der Dunkelheit meiner Zelle, sah ich alles glasklar vor mir.
»Nein«, sagte ich, obwohl ich mir in diesem Punkt überhaupt nicht sicher war. »Ich glaube nicht.«
Iris Kastelein machte sich eine Notiz. Das Gespräch begann mich zu ermüden. »Ich möchte wieder auf mein Zimmer.«
»Halte bitte noch ein bisschen durch.«
Ich nahm mir vor, stark zu sein, um ihre Fragen zu beantworten.
Aber die Knetmaschine in meinem Kopf hinderte mich am Nachdenken.
»Ich glaube, das reicht für heute«, sagte Mo aus seiner Ecke. »Das ist sonst zu viel Stress für Ray.«
»Gut. Natürlich.«
Ich erhob mich. »Tschüss, Iris.«
Während mich der Wachmann hinausführte, hörte ich, wie sie zu Mo sagte: »Das war das erste Mal, dass er meinen Namen genannt hat.«
43
»Iris! Huhu!«
Ich kannte so gut wie niemanden mehr, der heute noch so etwas rief, deshalb merkte ich schnell, dass es sich um eine Freundin meiner Mutter handeln musste. Ich war in der Mittagspause in den Supermarkt gehetzt, um Zutaten für eine schnelle, gehaltvolle Mahlzeit zu kaufen, die sowohl Aron als auch mir schmeckte. Spaghetti Bolognese mit anderen Worten. Die aßen wir mindestens zweimal die Woche.
Ich drehte mich um und entdeckte Lien. Sie hielt einen Sack Kartoffeln in der Hand und winkte mir wie eine Wahnsinnige zu, obwohl sie gerade mal fünf Meter weit weg stand.
»Wie schön, dich hier zu treffen, Liebes!«
»Hallo, Lien. Ich wusste gar nicht, dass du hier einkaufst.« Lien wohnte in Buitenveldert, nur wenige Straßen von meiner Mutter entfernt. Dieser Supermarkt lag nicht in ihrem Revier.
»Ich gehe heute Nachmittag basteln, mit meinen Mongölchen«, sagte sie und zwinkerte mir zu, wobei es ihr nicht gelang, das nicht zwinkernde Auge offen zu halten.
»Ach ja?«
»Hat dir das deine Mutter nicht erzählt? Ich gebe geistig Behinderten Bastelunterricht. Jeden Mittwochnachmittag.«
»Meine Mutter erzählt mir eigentlich nie irgendwas. Vor allem nichts Wichtiges.«
»Ihr habt aber auch beide eine starke Persönlichkeit. Du magst es mit deiner Mutter nicht leicht haben, aber sie findet dich auch nicht immer einfach. Trotzdem sage ich Ageeth stets, wie froh sie sein kann, dass sie dich hat.
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