Blutige Asche Roman
Gesetze hier einweihen. Die offiziellen Regeln erklären dir Mo und all die anderen Therapeuten, Psychologen, Psychiater und Pfleger. Aber am wichtigsten ist das, was nirgendwo geschrieben steht. Darauf kommt es an, wenn man es sich hier ein bisschen angenehm machen will. Zum Glück hast du mich, ich werd dir helfen. Ich werd dir
sagen, von wem du dich lieber fernhältst und was du besser nicht sagst. Außerdem werde ich dir beibringen, wie du dich verhalten musst, damit du schneller Freigang bekommst und Besuch empfangen darfst, vor allem ganz bestimmten Besuch, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich nickte.
»Es ist mir egal, was du getan hast, wir haben alle unsere Schwächen, aber du scheinst ein netter Kerl zu sein.« Er warf seine Kippe in den Eimer und wiederholte: »Ein netter Kerl.«
In diesem Moment steckte Mo seinen Kopf heraus. »Kommst du mit?«
Henk legte seine große Pranke auf meine Schulter. »Merk dir, was ich dir gesagt habe. Ich bin einer von den wenigen, denen du hier trauen kannst.«
Mo sagte: »Nett, dass du Ray eine kleine Einführung gibst, Henk.« Aber keine Minute später - wir liefen gerade zurück zu meinem Zimmer - sagte er: »Nimm dich ein wenig in Acht vor diesem Mann.«
Das verwirrte mich. Wie musste ich diesen Henk einschätzen? Es gab keine Waagschale, auf die ich ihn legen konnte und die mir sagte: zu schwer oder zu leicht befunden. Oder aber: genau richtig.
Meine Mutter sagte oft: »Du fällst aber auch auf jeden rein, Ray.« Aber meist wurde sie wütend. »Merkst du denn nicht, dass deine Freunde immer dich für alles büßen lassen, Ray? Sie stellen etwas an, und du bekommst die Schuld zugeschoben. Oder sie provozieren dich so lange, bis du durchdrehst. Sie haben einen Riesenspaß daran. Für sie ist das besser als Fernsehen. Denk doch mal nach, Ray. Denk nach, bevor du etwas tust. Du lässt dich gehen, kennst keine Grenzen. Du erkennst
keine Warnsignale, hast keine Intuition. Ständig machst du komische Sachen, so dass ich immer noch nicht weiß, ob du einfach nur dumm oder völlig verrückt bist.«
Bei uns in der Straße gab es einen Hund, ein hinterhältiges, kleines Biest, das knurrte und nach einem schnappte, wenn man vorbeiging. Dieser Hund streunte in der Straße herum, manchmal sogar in unserem Garten.
Ich hatte Angst vor ihm. Meine Freunde sagten: »Wetten, dass du ihn mit diesem Stein nicht triffst, Ray? Wetten wir um deine Mutter?«
»Wie, um meine Mutter?«, fragte ich.
»Wir ziehen deiner Mutter das Höschen runter, und dann sieht man ihre Mumu, mitten auf der Straße. Außer du triffst den Hund.«
Ich wollte auf keinen Fall, dass meine Freunde die Mumu meiner Mutter sahen. Ich nahm den Stein. Er war rund und glatt und fühlte sich gut an.
»Werfen! Werfen!«
Ich hob den Arm. Der Stein lag perfekt in meiner Hand. Ich winkelte sie an.
»Werfen! Werfen!«
Ich warf den Stein, als wäre meine Hand ein Katapult. Es war mein bester Wurf. Der Stein sauste durch die Luft und traf den Hund genau zwischen den Augen.
Der Hund gab keinen Laut von sich. Er machte ein paar zittrige Schritte und brach dann zusammen. Plötzlich wurden alle still.
»Los, weg hier!«, rief einer meiner Freunde. »Ray hat Bonnie erschlagen!«
Innerhalb kürzester Zeit waren alle verschwunden, und ich blieb allein zurück, zusammen mit dem toten Hund. Ich
wusste nicht recht, was ich tun sollte. Die Sonne schien, und der Hund sah aus, als würde er jeden Moment aufspringen und nach meinen Knöcheln schnappen. Aber nach fünf Minuten lag er immer noch reglos im Gras, neben dem weggeworfenen Eisstiel. So schlimm war das auch wieder nicht. Ich beschloss, nach Hause zu gehen und mit meiner Fischer-technik zu spielen.
Abends stand der Nachbar vor der Tür. Ich lag schon im Bett, wurde aber von dem Geschrei geweckt. Als Nächstes hörte ich die Schritte meiner Mutter auf der Treppe. Sie riss die Tür zu meinem Zimmer auf und kreischte: »Stimmt das, dass du dem Hund einen Stein an den Kopf geworfen hast?«
»Ja, Mama.«
Sie beugte sich zu mir herab und schüttelte mich. »Bist du denn vollkommen verrückt geworden! Wie kommst du nur auf so eine Idee! Kein Tag vergeht, ohne dass du irgendwas völlig Bescheuertes anstellst. Was fange ich nur an mit dir? Wie kann ich so ein normales Leben führen?« Sie brach auf meiner Bettkante zusammen und begann zu weinen. Mir fiel nichts Besseres ein, als ihr übers Haar zu streichen. Meine Mutter hatte ganz weiche Haare, sandfarben wie der
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