Blutige Nacht: Roman (German Edition)
Zahlenschloss. Der Safe ging gleich beim ersten Mal auf und gab den Blick auf einen Haufen Geld frei, wie ich ihn, außer in Filmen, noch nie zuvor gesehen hatte, und auf eine kleine schwarze Pistole.
Enttäuscht hob ich mahnend den Finger gegen Roy, drehte mich dann wieder zum Safe um und warf das Geld, das auf den ersten Blick nach etwa vierzig Riesen aussah, in die Tasche, die wir vorsorglich mitgebracht hatten. Als der Tresor leer war, schloss ich ihn, zog den Reißverschluss der Tasche zu und lächelte Coraline an.
Sie sah es nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt, Roy am Ende des 38er-Laufs anzustarren. Mit dem zugekniffenen, geschwollenen Auge sah es aus, als würde sie sorgfältig zielen.
»Wir haben das Geld, aber mein Gesicht tut immer noch weh, Roy«, verkündete sie mit Bedauern.
»Coraline …«, unterbrach ich sie.
»Ja, Liebling?«
»Das hatten wir so nicht geplant.«
»Halt du dich da raus, Mick. Er hat nicht dein Gesicht verunstaltet. Dir ist das nicht zugestoßen.«
Ich musste zugeben, dass sie recht hatte. Trotzdem hatten wir es so nicht geplant.
»Nimm den Revolver runter, Süße.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Sie lächelte. »Ich will nicht. Außerdem weiß er, wer ich bin. Er kann uns verpfeifen. Wenn wir jetzt rausgehen, dann schickt er uns innerhalb von einer Stunde die Polizei auf den Hals.«
»Nein, das werde ich nicht. Bestimmt nicht. Ihr könnt das Geld haben. Das ist mir völlig egal.« Roy hörte sich sehr viel nüchterner an, als er um sein Leben bettelte.
»Das sagt er jetzt, aber wenn wir weg sind, dann ist es ihm nicht mehr egal, Mick. Das ist viel Geld. Es wird ihm wichtig werden, und dann wird er die Bullen anrufen. Du weißt, dass er das tun wird.«
Ich wusste es, auch wenn Roys Doppelkinn verneinend wackelte. Trotzdem, jemanden umzubringen, selbst jemanden, der es verdient hatte, war nicht meine Art. Damals zumindest noch nicht. Wir hatten sein Geld. Wir hatten ihn zusammengeschlagen. Das reichte.
»Wir binden ihn fest«, beschloss ich. »Und wir gehen nach Mexiko. Bis er sich befreit hat, sind wir über die Grenze.«
»Ich will nicht nach Mexiko«, sagte Coraline.
»Dann nach Kanada.«
Coraline schüttelte den Kopf. »Dahin will ich auch nicht. Ich bin gern hier.« Sie sah überaus zufrieden aus, als sie den Hahn spannte.
Roys Augen weiteten sich unglaublich. Ich wusste gar nicht, dass Augen so groß werden konnten.
»Du hast versprochen, ihr würdet mir nichts tun, wenn ich hier mitspiele. Das hast du versprochen.«
Coraline schüttelte den Kopf und lächelte wie eine Lehrerin, die mit einem verwirrten Schüler spricht. »Nein, Roy. Was ich versprochen hatte, war, dass ich es Mick nicht tun lassen würde«, sagte sie sanft.
Der Knall des Revolvers brachte meine Ohren zum Klingeln wie Alarmglocken.
Kapitel 6
I n der nächsten Nacht wache ich mit einem üblen Hämoglobin-Kater auf. Das kommt bei altem Blut gern mal vor. Vielleicht war die ganze Spritzerei doch keine so gute Idee gewesen. Ehrlich gesagt bin ich mir da sogar ziemlich sicher.
Ich gehe zum Mini-Kühlschrank, stemme die Tür auf und mache Inventur. Dazu brauche ich nicht lange. Nur noch zwei erbärmliche Ampullen. Verdammt. Zwei Ampullen wären eine bescheidene nächtliche Portion, doch jetzt werde ich sie strecken müssen. Ich verfluche meine Schwäche. Dann beschließe ich, mir selbst zu vergeben und mir einen Schuss zu setzen. Ich bin nicht der nachtragende Typ, vor allem nicht bei jemandem, den ich so gern habe wie mich selbst.
Ich suche mein Besteck zusammen und ordne meine Gedanken. Schon besser. Ich fühle mich zwar noch nicht pudelwohl, aber wenigstens sind meine Lebensgeister wieder geweckt. Ich mache mich daran, mich anzuziehen. Ich drücke auf die »Nachrichten abspielen«-Taste meines Anrufbeantworters, als ich daran vorbeikomme. Eine Nachricht von einem gewissen Detective Coombs. Er will mit mir sprechen. Nur ein paar Routinefragen zu einem Fall, an dem er gerade arbeitet. Ich soll ihn zurückrufen, wenn es bei mir passt. Blablabla.
Ich pflege nicht mit Bullen zu sprechen. Ich fühle mich unwohl in ihrer Gegenwart. Das war schon immer so. Wenn er etwas von mir will, dann muss er mich ausfindig machen. Ich lösche die Nachricht und richte meine ganze Aufmerksamkeit darauf, ein Ensemble auszuwählen.
Heftiges Klopfen ertönt an der Tür, als ich meine Krawatte zum vierten und letzten Mal knote. Ich lasse mein Besteck verschwinden und öffne die Tür. Ein bekannt wirkender,
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