Blutige Nacht
Verlangen überwältigen mich. Und es ist schon lange her, dass ich eines dieser beiden Gefühle verspürte. Dass ich überhaupt etwas empfunden habe. Die Taubheit, die mit dem Untotsein einhergeht, ist nicht nur körperlicher Art, sondern auch emotionaler. Wut ist die einzige Ausnahme. Davon scheint man immer ausreichend vorrätig zu haben. Vielleicht ist es das, was uns Vampire dazu befähigt, zu tun, wozu wir geschaffen sind. Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich gerade mit ihr lebendiger fühle als seit langem; seit längerem jedenfalls, als ich mir vorzustellen bereit bin.
»Na also, das war doch gar nicht so schlecht, oder?«, fragt sie, als wir uns schließlich trennen.
Ich traue mir selbst nicht zu, zu sprechen, also schüttle ich nur den Kopf. Ich will mehr. Viel mehr, wenn Sie es genau wissen wollen.
»Na ja, ich würde dich ja bitten zu bleiben, aber ich habe einen Auftritt in einer halben Stunde.«
»Und ich muss ein Mädchen finden.« Ich mache meinen Hut ausfindig, der ganz offensichtlich auf einem Regal lag, und setze ihn auf.
»Wie wäre es, wenn wir uns später treffen, wenn wir uns mit allem Zeit lassen können. Ich habe morgen Abend frei.«
Ich öffne den Mund, um »Vergiss es« zu sagen, aber was herauskommt, klingt mehr nach »Klar doch«.
Sie grinst neckisch. »Bei dir oder bei mir?«
»Besser bei dir. Ich habe kein Bett.«
»Hast du nicht? Wo schläfst du dann?«
»In einer Kühltruhe«, entgegne ich trocken. Sie lacht, glaubt, ich würde scherzen. Ich lasse sie in dem Glauben. »Wo genau ist denn bei dir?«
Reesa geht zu ihrem Paravent am Ende des Raums und löst auf dem Weg dorthin den Knoten des roten Seidengürtels, der den Kimono zusammenhält. Sie bleibt neben dem Paravent stehen und dreht sich zu mir um. Rote Seide fließt wie Blut zu ihren Füßen. Ich versuche, meine Blicke nicht unanständig werden zu lassen, aber manchmal sind sie einfach von ganz allein frech. Und jetzt ist es wieder so weit.
Einzig mit einem verschmitzt strahlenden Lächeln bekleidet, zuckt sie mit den Schultern. »Du bist ein Privatdetektiv, finde es heraus.«
Ich brauche ein Münztelefon. Ich fahre mit dem Benz zum Canter’s Deli. Während ich über die verkehrsreiche Hollywood-Landstraße in südlicher Richtung fahre, bringt mich ein immer gleiches Scheinwerferlicht im Rückspiegel des Benz auf den Gedanken, dass ich beschattet werde. Ich biege ein paarmal in Richtungen ab, die eigentlich nicht auf meinem Weg liegen, um mir Gewissheit zu verschaffen. Wer auch immer mir hier folgt, weiß bei Gott nicht, was er tut. Die Beschattung ist viel zu offensichtlich und amateurhaft – selbst für Bullen. Wer also? Die in Frage kommenden Personen sind zahlreich. Ich hatte in letzter Zeit nicht gerade viele Bekanntschaften zu verzeichnen, die der Kategorie »neue Freunde« angehören.
Ich biege rechts ab und gleich darauf wieder links in eine enge Gasse, die sich hinter überteuerten Wohnblöcken durchschlängelt. Ich parke hinter einem braunen Müllcontainer und schalte die Scheinwerfer aus. Ich muss nicht lange warten, bis mein Verfolger – ein mir bekannt vorkommender Ford-Pick-up Baujahr 77 – hinter mir in die Straße einbiegt.
Als ich sehe, dass er eingeschlagen hat, knalle ich den Rückwärtsgang rein und trete das Gaspedal voll durch, in der Hoffnung, nahe genug an ihn heranzukommen, um wenigstens einen Blick auf den Fahrer werfen zu können. Die Weißwandreifen rauchen und quietschen, als ich mit dem hochtourigen Motor denselben Weg zurückrase, den ich gerade erst hochgefahren bin. Als er sieht, dass ich auf ihn zuhalte wie der Hammer Gottes, bekommt mein Beschatter Panik und kneift den Schwanz ein. Da er viel näher an der Mündung der Gasse ist als ich, gelingt es dem Pick-up, in die Straße einzubiegen, bevor ich auch nur die Hälfte des Wegs zurückgelegt habe. Durch das seitliche Beifahrerfenster kann ich gerade mal einen kurzen Blick auf das Gesicht eines Weißen mit einer viel zu blonden Haartolle hinter dem Steuer erhaschen, ehe der Ford mit quietschenden Reifen in die Nacht davonrauscht.
Das Canter’s.
Ich parke auf dem angrenzenden Parkplatz, steige über den Penner, der wie eine Bremsschwelle zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Gehsteig davor liegt, und dränge mich durch die verschmierten Glastüren.
Ich winke die niedliche Empfangsdame ab, die anbietet, mich zu meinem Platz zu geleiten, und gehe schnurstracks zum Münztelefon. Dort werfe ich
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