Blutige Seilfahrt im Warndt
könnte!«
»Hör dir mal an, was er zu sagen hat.« Schnur nickte verdrießlich. »Ich kann diese Theorie nicht glauben. Das klingt in meinen Ohren einfach unvorstellbar, dass ein Mann solange im Verborgenen leben kann. Aber wir sollten nichts außer Acht lassen.«
Plötzlich ratterte das Faxgerät los, das hinter Schnurs Schreibtisch stand. Es war der Durchsuchungsbescheid. Wortlos überreichte er ihn dem Spusi-Chef, der breit grinsend »Good bye« rief und schleunigst das Büro verließ.
Dabei gab er Norbert Kullmann die Tür in die Hand. Schwungvoll polterte der Altkommissar herein. Seine Augen leuchteten, als sei er auf eine Goldgrube gestoßen.
»Ich hab’s!«, rief er.
»Was hast du?«, fragte Schnur fassungslos.
»Ich habe dir doch von der französischen und deutschen Geschichte unseres Bergbaus erzählt«, begann Kullmann.
Schnur erinnerte sich.
»Und genau da liegt die Lösung!«
»Ich verstehe nichts«, gab Schnur zu.
»Ich auch nicht«, gestand Erik.
Anke und Andrea erging es ebenso.
»Ich werde nicht mehr alles wiederholen, nur soweit, dass die Gruben, die hier nach dem Saarstatut 1957 in französische und deutsche Zuständigkeit getrennt wurden, früher alle in französischer Hand waren. Und so kommt es, dass es unterirdische Stollen von beiden Ländern gibt, nur dass das jeweilige Nachbarland heute nichts mehr von diesen Stollen weiß.«
»Das klingt interessant«, gab Erik zu.
»Das ist es auch!« Kullmann lachte. »Und zwar gibt es in Petite-Rosselle den Schacht Puits Saint-Charles. Der wurde schon 1966 stillgelegt. Was aber kaum noch jemand weiß, ist, dass es in den Absetzbecken dahinter einen Bergestollen gibt. Dorthin wurde das Wasser aus den Kohlegruben abgepumpt. Sie sind stellenweise zwanzig Meter tief. An einer dieser Stellen kommt der Stollen ebenerdig ans Tageslicht. Dort kann man einfach so reinspazieren, wenn man sich auskennt.«
»Was soll uns das bringen?«, zweifelte Schnur.
»So kommen wir ganz bequem unter Tage und laufen bis zum Gustavschacht, sollte das Bergamt uns wieder einmal verwehren, vor Ort zu ermitteln.«
Anke, Erik und Andrea waren begeistert. Doch Schnurs Miene blieb düster. »Wir haben mit unserer eigenmächtigen Aktion, einen Trojaner runterzuschicken, schon Ärger genug. Wollt ihr es noch schlimmer machen, indem ihr euch in einem unterirdischen Labyrinth verirrt?«
»Nein! Wir wollen helfen«, kam es von Kullmann.
»Aber wir kennen uns doch gar nicht aus.«
»Dann nehmen wir den Markscheider mit, der mir von diesem Mundloch erzählt hat …«
»… Mundloch?«, fragten alle einstimmig.
»So nennt man einen Stollenausgang über Tage«, erklärte Kullmann und setzte seine Vorschlag fort: »Der Markscheider kennt die unterirdischen Gänge heute noch wie damals.«
»Wie viel weiß dieser Markscheider?«, fragte Schnur.
»Jetzt mach mal einen Punkt«, wurde Kullmanns Tonfall plötzlich unhöflich. »Hältst du mich für einfältig oder für debil? Ich habe nicht vergessen, was Polizeiarbeit bedeutet.«
Erschrocken hob Schnur beide Hände und entschuldigte sich sofort. Im gleichen Augenblick klingelte das Telefon auf seinem Tisch. Er hob ab.
Alle konnten sehen, wie seine Gesichtsfarbe noch blasser wurde. Nach wenigen Sekunden legte er auf und zitterte.
Der Mann stand ruhig da.
Remmark ebenso.
Sein Begreifen kam etwas spät. Hoffentlich nicht zu spät. Er spürte nämlich, dass er sich in einer ungünstigen Lage befand. Die Schachttür hatte er selbst entsichert und geöffnet. Hinter ihm tat sich ein Schlund von mehr als dreihundert Metern auf. Vor ihm stand der Mann, der für eine ganze Serie von Morden verantwortlich war.
Beschissener ging es nicht.
Er musste etwas tun. Nur was? Mit ihm sprechen?
Er wollte nicht sterben. Nicht jetzt, da er sich gerade so nah an seinem Ziel wähnte. All die Jahre hatte er nicht glauben wollen, dass hier unten etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Für jeden Kameraden, der grausam verunglückt war, hatte er Erklärungen gefunden.
Jahrelang war sein Plan aufgegangen, das Geld immer mehr geworden, die Gier immer größer. Und das, obwohl er gewusst hatte, dass er diesen Profit auf einem Verbrechen aufgebaut hatte. Aber davor hatte er die Augen verschlossen.
Nun stand er genau dieser Wahrheit Auge in Auge gegenüber.
Schon der Anblick des Phantoms verriet Remmark, warum diese Dinge hier unter Tage geschehen waren. Er brauchte keine Erklärungen von seinem Gegenüber. Auch brauchte er sich nicht die
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