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Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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spontane Entscheidungen notwendig, wenn das Leben eines Kollegen in Gefahr ist.«
    »Wie sieht es mit der Zeit auf unserem Foto aus?« Mit dieser Frage wandte sich Schnur an Erik.
    »Ziemlich identisch. Das Foto wurde um 14.12 Uhr gemacht, der Tote um 14.20 Uhr gefunden. Also wurde die Zeitschaltuhr so gegen 14.00 Uhr auf vierundzwanzig Stunden gestellt.«
    »Gut! Also können wir uns zumindest zeitlich orientieren.« Er erhob sich von seinem Platz und wies an: »Andrea, du bleibst hier im Büro.«
    »Nicht schon wieder«, murrte die Kollegin.
    »Es muss sein«, erklärte Schnur hastig. »Wenn sich Hans Rach oder Paolo Tremante melden sollten, muss jemand vor Ort sein.«
    »Und was mache ich?«, rief Erik.
    »Du bleibst bei Andrea. Nach deinem letzten gefährlichen Einsatz gebe ich dir eine Schonfrist.«
    »Aber ich komme mit«, bestimmte Anke und folgte den Männern zum Fahrstuhl, ohne eine Antwort abzuwarten.

    Grewe spürte seine Handgelenke nicht mehr. Alles war blutverschmiert. Er ahnte, dass keine Haut mehr an diesen Stellen war. Jetzt musste er aufpassen, denn genau dort verlief die Pulsschlagader. Wenn er sich dort verletzte, würde er verbluten und konnte es nicht verhindern.
    Und doch fühlte er sich getrieben.
    Er hatte eindeutig ein Schnaufen gehört. Das hatte er sich nicht eingebildet. Zwar war seitdem kein einziges Geräusch mehr zu hören gewesen, trotzdem glaubte er fest daran, dass sein Freund hinter dieser vorstehenden Mauer lag und seine Hilfe brauchte.
    Immer wieder rief er seinen Namen.
    Nichts.
    Dann versuchte er es mit dem hässlichen Schimpfnamen, in der Hoffnung, damit eine Reaktion aus seinem Freund hervorzulocken.
    Immer noch nichts.
    Aber er wollte nicht aufgeben. Er spürte die Präsenz seines Freunds. Er war da.
    Also kämpfte er weiter. Die Schmerzen konnten ihn nicht mehr aufhalten. Wild riss er Arme und Beine gegen die Fesseln an, bis er plötzlich spürte, wie sich an den Beinen der Druck löste. Dieser Erfolg strömte wie eine Ladung Adrenalin durch seinen Körper, die ihn antrieb, noch zielstrebiger an den Fesseln zu arbeiten.
    Doch das einzige, was er erreichte, war ein überwältigender Schwindel. Er wollte nicht ohnmächtig werden. Wehrte sich dagegen mit allen Mitteln. Doch das Letzte, was er noch wahrnahm, war der Zeitmesser. Inzwischen waren acht Stunden vergangen.

    Ihr Weg führte über die A620 in Richtung Klarenthal. Dort verließen sie die Autobahn, fuhren über die einsame Landstraße an Velsen vorbei, wo der Förderturm angeleuchtet in der Dunkelheit stand. Dann passierten sie Großrosseln, ein Dorf, das aus einer langgezogenen und dicht bebauten Hauptstraße bestand. Am Ende des Dorfes bogen sie links ab und fuhren unter einer Eisenbahnbrücke hindurch.
    »Wusstest du, dass sich genau hier die einzige Stelle befindet, an der Frankreich östlich von Deutschland liegt?«, fragte Kullmann in die Stille des Wagens.
    Schnur grummelte leise und gab zu: »Nein! Wie soll ich das verstehen?«
    »Wie eine Landzunge ragt Frankreich an dieser Stelle in Deutschland hinein, wodurch sich diese ganz spezielle Lagesituation ergeben hat«, erklärte Kullmann. »Wenn du hier wieder einige Kilometer weiterfährst, bist du wieder in Deutschland.«
    Sie überquerten die Grenze zu Frankreich. Dort wurden die Straßen enger, die Häuser standen dichter. Ein Kreisverkehr folgte dem nächsten.
    Alle Insassen im Auto fühlten sich unter größter Anspannung. Niemand wusste, ob es richtig war, was sie jetzt taten.
    »Bist du dir sicher, dass das der richtige Weg ist?«, fragte Schnur nach einer Weile. Ständig schaute er auf die Uhr im Armaturenbrett des Wagens.
    Kullmann nickte und meinte: »Wir sind gleich da.«
    Er lotste Schnur in eine Straße, die steil bergauf führte. Dann hielt er den Fahrer an, langsamer zu fahren.
    »Was suchst du?«, fragte Schnur. »So ein Förderturm müsste doch zu sehen sein.«
    »Der Mann, den wir suchen, verbringt seine Abende immer in einer alten Kneipe am Ende dieser Straße. Dort werden wir ihn auch jetzt finden. Ich habe ihm nämlich gesagt, dass er mit uns rechnen muss.«
    Er zeigte auf eine enge Einfahrt zwischen zwei Häusern zu ihrer Linken. Das Scheinwerferlicht des Autos hüpfte durch die Nacht und leuchtete auf Bäume, Sträucher und Hauswände. Rechts stand ein Gebäude auf einer Anhöhe, dessen Sprossenfenster stumpf wirkten, der Putz an den Wänden bröckelte und das Dach in einer einzigen Schräge nach hinten verlief, einen angebauten Schuppen

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