Blutige Seilfahrt im Warndt
eine Aufmunterung nicht schaden. Und Anke hatte nicht zu viel versprochen. Der Mann, der ihr Büro betrat, strahlte eine Energie und Kraft aus, die Andrea sofort beeindruckte. Seine dunkle Stimme war kraftvoll. Seine blonden Haare leuchteten im Neonlicht, das bereits eingeschaltet war, weil sich der Tag dem Ende neigte. Nur seine blauen Augen wirkten traurig und besorgt.
»Sie wollen mit uns sprechen«, begann sie, nachdem sie sich vorgestellt hatten und schaltete das Tonbandgerät ein. Das war ihr lieber, weil sie dadurch garantiert kein Wort des Gesprächs vergaß.
Argwöhnisch schaute der junge Mann auf das Gerät und fragte: »Muss dieses Band laufen?«
»Ich nehme das Gespräch auf, damit es später zu Protokoll gegeben werden kann.«
Tim nickte und begann zu sprechen: »Seit Ihre Kollegen bei mir waren und gefragt haben, ob mein Vater noch leben könnte, ist mir dieser Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gegangen.«
Andrea nickte.
»Ich gehöre zwar nicht zu der Welt der Bergleute. Doch ich lebe mitten unter ihnen und so kommt es, dass ich auch immer erfahre, was unter Tage los ist«, sprach der blonde Mann weiter. »Jetzt kursiert im Warndt-Dorf das Gerücht, ein Mann sei unter Tage gesehen worden, der wie mein Vater aussah.«
»Mit Warndt-Dorf meinen Sie Dorf im Warndt?«, hakte Andrea nach.
»Genau. Dort lebe ich immer noch in der Bergmannssiedlung. Nach meinem Studium werde ich wohl wegziehen. Aber zurzeit reicht es mir.«
»Klar!«, bestätigte Andrea.
»Vielleicht war auch immer ein bisschen der Gedanke – oder der heimliche Wunsch –, dass mein Vater mich findet, sollte er wider Erwarten dieses schwere Unglück überlebt haben.« Er lachte über sich selbst und meinte: »Schön naiv, was?«
»Warum? Ihr Verhältnis war gut. Da fällt es umso schwerer, an so einen Schicksalsschlag zu glauben«, ermutigte Andrea ihr Gegenüber.
»Das sagen Sie schön.« Er grinste verlegen. »Doch jetzt heißt es immer wieder, er sei noch am Leben. Und wenn das stimmen sollte, hat ihn sein erster Weg nicht zu mir geführt. Das ist es, was mir einfach schwerfällt zu glauben.«
»Wir sind an dieser Sache dran«, gab Andrea zu verstehen. »Deshalb bitte ich Sie, uns sofort zu informieren, wenn Ihr Vater tatsächlich bei Ihnen auftaucht.«
»Ich habe Angst, dass er nicht bei mir auftauchen will – warum auch immer«, wehrte Tim ab.
Auf dem Foto war Anton Grewe abgebildet. Mit weit aufgerissenen Augen saß er gefesselt auf einem Stuhl. Am rechten Bildrand konnten sie ein Gebilde aus Drähten und Kabeln erkennen, das eindeutig eine Bombe war. Daran hing ein Zeitzünder, auf eine Zeit von vierundzwanzig Stunden eingestellt.
Kullmann war der Erste, der etwas zu diesem Foto sagte: »Zumindest wissen wir jetzt, dass Grewe noch lebt.«
»Und woher?«, fragte Schnur.
»Als Remmark in den Schacht gefallen ist, hatte er die Kamera dabei.«
»Wer sagt, dass er die Kamera dabei hatte?«
»Erinnerst du dich noch an unsere Begegnung mit Remmark in dem alten, eingestürzten Streb?«, fragte Kullmann zurück. »Da spach er von seinem Fotoapparat.«
»Stimmt! Das könnte bedeuten, dass sein Mörder den Apparat nicht gesehen hat, als er Remmark in den Schacht stieß.«
»Das Phantom«, flüsterte Ann-Kathrin.
»Jetzt fang du doch nicht auch noch mit dem Phantom an«, brüllte Schnur. »Damit machen wir uns alle nur verrückt. Jetzt ist klar denken angesagt.«
»Ist ja schon gut«, wehrte die Staatsanwältin ab. »Aber könnte es nicht sein, dass er bewusst den Fotoapparat hinterhergeworfen hat, um einen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Egal, ob Phantom oder nicht! Er wusste, dass wir ermitteln werden.«
Schnur überlegte eine Weile, bis er zugab, dass diese Theorie nicht schlecht war.
»Nur verstehe ich nicht, was dort vorgeht. Wer hat unseren Mann auf die Bombe gefesselt? Welches Motiv sollte das Phantom dafür haben? Bisher hat er doch immer nur die Männer getötet, die am Drogenhandel beteiligt waren. Und Grewe hatte damit nichts zu tun.«
»Vielleicht hat das Phantom herausgefunden, was Grewe dort unten wirklich macht«, rätselte Anke, »und sieht durch ihn seinen Rachefeldzug gefährdet.«
»Wissen wir, ob Karl Fechter mit Bomben gearbeitet hat?«, fragte Erik.
»Als ich damals das Unglück untersuchen sollte, hieß es, dass er eine Zeitlang mit Sprengungen gearbeitet hatte. Die Kenntnisse dazu hat er also«, meinte Kullmann.
»Sind wir wieder beim Phantom angekommen?«, fragte Schnur.
»Nur er oder
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