Blutige Seilfahrt im Warndt
Verständigung haben wir nicht.«
Mit gemischten Gefühlen ließ Schnur die kleine, skurrile Gruppe in dem verrauchten Bistro zurück, um seinen Rückweg zur KPI anzutreten.
Ein Geräusch riss Grewe aus seinem Dämmerzustand.
Verwirrt richtete er sich auf und schaute sich um. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder erinnerte, wo er war. Und wie er dorthin gekommen war. Die Schmerzen und die Bewegungsunfähigkeit brachten ihn in die grausame Wirklichkeit zurück. Welches Geräusch hatte ihn aus dem Schlaf gerissen? Hoffnung keimte auf. Sein Herz schlug wie wild. Hatte Michael ein Lebenszeichen von sich gegeben?
»Michael! Bist du das?«, rief er.
Doch es kam keine Antwort.
Sollte er sich das Geräusch nur eingebildet haben?
Nein! Das hatte er nicht! Bestimmt hatte er jemanden vor dem Raum gehört. Sie kamen, um ihm zu helfen. Ihm und seinem Freund.
Er versuchte, sich auf weitere Geräusche zu konzentrieren, doch er vernahm nichts. Das wollte er nicht glauben, also lauschte er weiter und konzentrierte sich dabei so sehr, als könnte es es herbeilocken. Doch alles blieb still. Eine Stille, die ihn erdrückte, ihm die Luft raubte, den letzten Funken Lebensmut. Er sank wieder in sich zusammen. Hoffnungslosigkeit überfiel ihn. Der Gedanke, in dieser Tiefe zu sterben – dazu noch mit der Ungewissheit, ob tatsächlich sein Freund hinter ihm lag – zermürbte ihn. Das wollte und durfte er nicht zulassen. Es ging nicht nur um sein Leben. Er hatte doch die Verantwortung für Michael. Und irgendetwas hatte ihn wachgerüttelt. Also hatte er etwas gehört. Er hatte sich nicht getäuscht. Er durfte sich nicht getäuscht haben. Er schaute auf den Zeitanzeiger.
Noch vierzehn Stunden.
So laut er konnte, schrie er um Hilfe. Doch seine eigene Stimme hörte sich in seinen Ohren fremdartig an. Und viel zu leise. Es gelang ihm nicht zu brüllen wie ein Verrückter. Und doch trieb ihn die Verzweiflung dazu an. Außerdem strampelte und zerrte er an den Fesseln. Das Blut, das inzwischen eingetrocknet war, begann wieder über seine Unterarme zu laufen. Doch das war ihm alles egal. Die Zeit verging. Er konnte es hören. Jede Sekunde ein Takt. Das machte ihn wahnsinnig. Er wollte nicht wahrhaben, dass er sich das Geräusch nur eingebildet hatte.
Warum brauchten die Kollegen so lange?
Hans Rach wirkte klein und rund, als er vor Schnurs Schreibtisch saß und seine Personalien aufnehmen ließ. Sein Gesicht war gerötet, sein schütteres Haar sorgfältig zu einem Seitenscheitel gekämmt, um eine Platte auf dem Kopf zuzudecken. Eine uralte Methode, die lichten Stellen zu verbergen, was aber noch nie wirklich geholfen hat, dachte Schnur. Zufrieden fuhr er sich über sein Kinn. Er hatte sich gründlich rasiert, bevor er den ersten der beiden reumütigen Bergmänner in sein Büro gebeten hatte. Keiner der Kollegen hatte ihn auf seinen roten Bart angesprochen. Vermutlich war die Situation so angespannt, dass niemand mehr ein Auge dafür hatte.
Schnur überlegte sich, dass es ihm doch tatsächlich lieber wäre, sie hätten ihn damit aufgezogen und ihre Welt sei in Ordnung. Das Foto von Grewe in dieser lebensbedrohlichen Lage, in die er durch Schnurs Schuld geraten war, hatte sich ganz tief in sein Gewissen hineingebrannt. Er überlegte ernsthaft, ob er nach diesem Fall seinen Job kündigen und etwas anderes machen sollte.
Ein Räuspern rief ihn ins Hier und Jetzt zurück. Er schaute auf den Mann, der gerade fertig geworden war, das Formular auszufüllen. Also konnte Schnur mit seinen Fragen beginnen. Er musste dabei aufpassen, dass er sich nicht im Ton vergriff. Dieser Mann war ihm nämlich äußerst unsympathisch, weil er seit Jahren Drogengeschäfte betrieb und damit mehr Unheil angerichtet hatte als die Todesfälle in der Grube. Wer wusste schon, wie viele Drogentote auf sein Konto gingen?
»Sie sind also hier, weil Sie illegalen Drogenhandel betrieben haben?«
Der kleine, untersetzte Mann wackelte und schüttelte den Kopf gleichzeitig und sagte: »Ja! Nein! Ich …«
»Ja, was nun?«
»Ich bin an dem Drogenhandel nur beteiligt.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Dass ich nicht weiß, wer der Hauptdrahtzieher ist. Und auch nicht weiß, wer den Stoff besorgt hat.«
»Und wie kamen Sie überhaupt an dieses lukrative Geschäft?« Schnur musste sich in Geduld üben.
»Schorsch hat uns damals diese Quelle aufgetrieben und uns gefragt, ob wir mitmachen wollen.«
»Warum das? Wäre es nicht lukrativer für ihn gewesen, das alles
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