Blutige Seilfahrt im Warndt
Verkehr wurde immer stärker, je näher sie der Innenstadt kamen. Dann bog Kullmann rechts ab und steuerte das große Gebäude der Landespolizeidirektion an.
Im dritten Stock wurden sie gleich von Lärm empfangen.
Kullmann warf einen Blick in Schnurs Büro. Dort standen Erik, Schnur, die Staatsanwältin und eine für Anke fremde Frau und diskutierten hektisch.
»Was ist hier los?«, fragte er.
Auf seine Frage folgte zunächst einmal großes Schweigen.
Anke stellte sich neben ihren ehemaligen Chef und ließ ihren Blick über die erstaunten Gesichter wandern. Sie ahnte, dass hier etwas vor sich ging, was nicht förderlich für die Ermittlungen war.
Schnur war der erste, der sich aus seiner Erstarrung löste. Er trat hinter dem Schreibtisch hervor und begrüßte Anke mit einer herzlichen Umarmung.
»Wie gut du aussiehst«, rief er aus. »Die Kur hat dich ja regelrecht verwandelt.«
»Du Charmeur«, meinte Anke. Sie spürte, dass das Kompliment sie verlegen machte. Zum Glück sprach er gleich geschäftig weiter: »Darf ich dir unsere neue Mitarbeiterin vorstellen? Andrea Westrich.«
Die Frau trat auf Anke zu. Sie trug ihre dunklen Haare bis weit über die Schultern. Anke konnte einige graue Strähnen darin erkennen. Mit dunkler, angenehmer Stimme begrüßte sie Anke und hielt ihr die Hand zum Gruß entgegen. Anke schlug ein.
»Und unser verschollener Alt-Kommissar Norbert Kullmann ist auch wieder da«, sprach Schnur weiter, nachdem das erledigt war. »Dich haben wir schon vermisst. Wenn du heute nicht hier aufgekreuzt wärst, hätten wir dich mit Polizeieskorte abholen lassen.«
Kullmann lachte. Doch er ließ sich nicht ablenken. »Du hast meine Frage von eben noch nicht beantwortet: Was war hier gerade los?«
»Es geht um die Ermittlungen«, gab Schnur zu.
»Das hörte sich für mich wie ein Streit an.«
»Ach was!«, wehrte Schnur ab.
Doch jetzt trat die Staatsanwältin vor und antwortete: »Ich habe große Bedenken, was diese Undercover-Aktion betrifft. Anton Grewe unter Vortäuschung falscher Tatsachen in die Grube zu schicken, halte ich für zu gefährlich.«
Kullmann pfiff durch die Zähne. Das hörte sich nicht gut an. Als Herrin des Verfahrens war Ann-Kathrin durchaus in der Lage, diese Aktion zu verbieten. Doch die Chancen, den Fall aufzuklären, wären damit gleich null.
»Wer kennt es nicht: das Trojanische Pferd?«, fragte Schnur wie aus heiterem Himmel.
»Was hat das mit Anton Grewe zu tun?«, fragte Ann-Kathrin zurück.
»Ganz einfach: Nur durch List und Täuschung kommen wir ans Ziel«, antwortete Schnur. »Das Bergamt gestattet uns nicht, unter Tage zu ermitteln. Hinzu kommt, dass die Bergmänner dicht machen. Die halten zusammen. Auch wenn wir sie über Tage abpassen, bekommen wir keine Informationen. Als Außenstehende kommen wir nicht weiter. Egal was passiert, es bleibt da unten. Da gibt es keine Gesetze, weil niemand dahin kommt. Da gibt es keine Grenzen, weil niemand darauf achtet, dass sie eingehalten werden. Aus ermittlungstaktischen Gründen ist dieser Undercover-Einsatz die einzige Möglichkeit, die wir haben, den Fall aufzuklären. Und Grewe war selbst einmal Bergmann, also fällt er nicht auf. Eine bessere Alternative gibt es nicht.«
»Ich habe Bedenken, weil die Situation dort unten so ist!« Ann-Kathrin betonte das »weil« besonders. »Sollte Anton Grewes Rolle als Trojaner auffallen, bekommen wir es nicht mit, weil es für ihn keinerlei Verbindung nach oben gibt. Wir können ihm nicht helfen, wenn er in Gefahr gerät.«
»Grewe ist Bergmann. Warum sollte er auffallen? Sein Beruf ist unsere einmalige Chance, diese Aktion durchzuziehen. Oder wir schließen den Fall als Unfall ab«, murrte Schnur. »Aber dagegen sprechen mittlerweile weitere Fakten, die sogar auf vergangene Verbrechen hinweisen, die alle als Unfall abgehakt worden sind.«
»Von welchen Fakten sprichst du?«, horchte Kullmann auf. »Doch wohl nicht vom Unglück vor elf Jahren?«
»Auf das Unglück komme ich noch zu sprechen«, meinte Schnur. »Aber jetzt meine ich etwas anderes: Und zwar starb im Jahr 2002 Horst Stänger, weil er in einen Kohlebrecher geraten war. Im Jahr 2004 kam Alois Witzke ums Leben, weil er sich im Alten Mann aufhielt, als der zusammenbrach. 2006 hat es Uwe Bendrup erwischt, weil er zwischen Schildkappe und Gebirge zu Tode gequetscht wurde. 2008 war Harald Stark an der Reihe. Er war Lokführer und wurde zwischen zwei Waggons eingeklemmt.«
»Das klingt für mich nach Unfällen«,
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